Cadinen -Teil 7

Cadiner Majolika - 2

Um die Jahrhundertwende lebte in Tolkemit der Töpfermeister Andreas Zimmermann.  Auf Empfehlung von Gewerbeoberlehrer Bermwoldt aus Elbing, stellte er zwei junge Kunstmaler ein, die Brüder Gustav und Franz Liedtke. Sie verzierten alles, was Herr Zimmermann auf der Töpferscheibe herstellte, z. B. Vasen mit glasierter Schlicker-Malerei. Ab November 1920 arbeitete er, wie viele der durch das Aufkommen der Emaille-Industrie arbeitslos gewordenen  Tolkemiter Töpfer, für die von Kaiser Wilhelm II. 1904 gegründete Cadiner Majolikawerkstätte. Gustav und Franz Liedtke begleiteten ihn nach Cadinen. 




Bild 137: Frühe Vase in Schlickermalerei Modell Nr. 491 (Sammlung C. Mühleisen)

Schlicker ist eine Mischung aus Wasser und Ton in keramischer Konsistenz, die mit Farbe vermischt mit einem Malhörnchen (Gießbüchse) dick aufgetragen und mit Glasur (einem glasähnlichen Überzug aus Kieselsäure mit Flussmitteln, z. B. Bleiglätte, Magnesia) versehen wird.


Nach 1918 brach für Cadinen eine schwere Zeit an, Gegenstände mit der Krone als Markenzeichen waren verpönt, wirtschaftlich lag Deutschland nach dem verlorenen Krieg danieder. In diesen Jahren war es einem Mann  zu verdanken, dass die Werkstätten nicht nur weiter bestanden, sondern sich im Laufe der zwanziger Jahre von der Depression erholten und zu einer neuen künstlerischen Blüte geführt wurden: Wilhelm Dietrich. Er war nicht nur Künstler, sondern auch Fachmann in Grob- und Feinkeramik und schließlich ein Organisator mit kaufmännischem Blick in einer Person. Als sich nach dem Umsturz 1918 die Abnehmer zurückzogen, versuchte Dietrich, durch die Fabrikation von Ofenkacheln den alten Stamm von Mitarbeitern über die schwere Zeit hinüberzuretten. Er entwickelte die bekannten und beliebten Nachbildungen Alt-Danziger und Alt-Elbinger Prunk-Öfen, die genau der alten Herstellungsart entsprachen und handgemalt von einer Ausführung waren, wie sie von keiner anderen Seite erreicht wurden. 






Bild 138: Cadiner Beamtenhaus

Die vordere Hälfte des Beamtenhauses bewohnte Direktor Wilhelm Dietrich und in der hinteren Haushälfte lebte die Familie von Obermaler Gustav Liedtke. Dietrich stand außerdem noch  eine Dienstvilla neben der Majolikafabrik zur Verfügung. Als Frau Dietrich darauf bestand, außer der Villa noch das ganze Beamtenhaus zu bewohnen, wurde die Familie Liedtke in ein kaltes dunkles Haus umquartiert, das nicht einmal beheizt werden konnte.



Bild 139: Dienstvilla

In der Dienstvilla neben der Majolika-Werkstätte wohnte zuerst Gutsverwalter Rüdiger von Etzdorf, dann Rittmeister a. D. von Moltke mit seiner Familie und später Wilhelm Dieterich, der Direktor der Majolika-Werkstätte.

Die schöne rote Grundfarbe des örtlichen Rohtones war von jeher ein Charakteristikum der Cadiner Produktion. Die verschiedensten Formen: Ascher, Leuchter, Krüge, Bowlen usw. wurden aus dem roten Material gebrannt und, mit einer durchsichtigen Glasur überzogen, bei 1000 Grad Celsius eingebrannt. So wurde in Fachkreisen, später auch für den Laien, das "Cadiner Rot" zu einem bestimmten Farbbegriff, und alle Bemühungen anderer Betriebe, dieses besondere Rot nachzuahmen, verliefen negativ. Auf Dietrichs Initiative wurden Versuche mit einer neuen Farbzusammenstellung gemacht, deren Ergebnis das Rot - Kobaltblau - Gold war. Zusammen mit einer neuen Art in Stil und Ausführung wurde hier höchste künstlerische Vollendung erreicht.




Bild 140: Bowlebecher 537 brg (Sammlung C. Mühleisen)




Bild 141: Kerzenleuchter 332 brg (Sammlung C. Mühleisen)




Bild 142: Zuckerdose 506 brg (Sammlung C. Mühleisen)




Bild 143: Schale (Keksdose) mit 3 Füßen 507 brg, 30er Jahre (Sammlung C. Mühleisen)




Bild 144: dieselbe Fußschale, diesmal mit Mausdeckel, 30er Jahre (Sammlung C. Mühleisen)

Vasen und andere Kunstgegenstände, darunter mit Silber beschlagene Ascher, eroberten sich rasch den Markt, so dass durch Dietrichs Tatkraft die Krise für das Werk überwunden war. 1926 übertrug der Kaiser dem 37-jährigen Wilhelm Dietrich die gesamte künstlerische und kaufmännische Leitung der Cadiner Werkstätten. In den 20er und 30er Jahren brachte Dietrich, dessen eigentliches Gebiet Porträts waren, die auf große Wandteller gemalt wurden - u.a. der Große Kurfürst, Friedrich der Große, Wilhelm II. - mit Tiergruppen wie Wildschweinen, Mäusegruppe auf Ascher usw. die weltberühmten Tonplastiken heraus.



Bild 145: Mausascher Modell Nr. 593 (Sammlung C. Mühleisen)

Mit einem Blick für Gediegenheit und künstlerische Ausführung war hier an breite Käuferschichten gedacht. Namhafte Künstler stellten gern ihre Modelle zur Verfügung. Verschiedene Pferde-Modelle von Albert Hinrich Husmann (1874-1946), die Eule von Emil Krieger (geb. 1902), der Esel von Dorothea Kirchner-Moldenhauer (geb.1884) oder die Elche von Arthur Steiner - um nur einige zu nennen, zeugen davon.

Steiner, ein ostspreußischer Bildhauer aus Gumbinnen (1885 - 1960)  fertigte seit Ende der 1920er Jahre die meisten Plastiken für Cadinen an.




Bild 146: Hirschschale aus Cadiner Steinzeug von Arthur Steiner, Modell Nr. 582 St. L. (Sammlung C. Mühleisen) St. L. - Steinzeug luminiert (anpoliert)



Bild 147: liegendes Reh Modell Nr. 526 hp (Sammlung C. Mühleisen)

Gertrud Classen (1905-1974), aufgewachsen in Elbing, Mitbegründerin des Wandervogel-Mädchenbundes, hat bei dem Elbinger Maler Paul Emil Gabel ersten Mal- und Zeichenunterricht erhalten. Dann lernte sie in den Cadiner Majolikawerkstätten Keramikmalerin und studierte anschließend in der Köngisberger Kunstakademie und in Berlin. Sie war in den 20er Jahren in Cadinen tätig. Im Garten ihres Hauses in Berlin-Pankow hatte sie eine Nachbildung des von ihr sehr geliebten Cadiner Dorfbrunnens erbaut.

Hans Haffenrichter, ein in Elbing 1897 geb. Bildhauer und Illustrator, entwarf während seiner Zeit als Lehrer an der Pädagogischen Hochschule in Elbing 1931-33, Dekore für Cadiner Gefäßkeramik. Von ihm stammten ein Kaffee-Service, Bowlenbecher und verschiedene Väschen.





Bild 148: Vase Modell 551 I brg, Modell von Prof. Haffenrichter um 1930/32 (Sammlung C. Mühleisen)




Bild 149: Kelchvase 439 I brg, vermutlich Haffenrichter (Sammlung C. Mühleisen)




Bild 150: Drei-Henkel-Vase 456 II brg



Bild 151: Seite aus dem Verkaufskatalog der Majolika Werkstatt Cadinen von 1937 mit der Trakehner-Gruppe "Ignatz u. Kaiserlingk" von Hussmann (84 RM),  Europa auf dem Stier (100 RM), Elchgruppe (33,60 RM), Bowle (38,40 RM), Schale (3 RM) und Vase (21 RM). 

"Ostpreußische Erde" (d.h. Cadiner Ton) mit "Ostpreußischen Gold" (d.h. Bernstein), in dieser Abteilung die kurz vor dem Zweiten Weltkrieg entstand, wurden in Zusammenarbeit mit der Staatlichen Bernstein-Manufaktur in Königsberg Schalen und Teller mit Bernstein hergestellt.

An dieser Stelle sei noch ein Wort über die Cadiner Kirche gesagt, die nach Arthur Kicktons Entwurf im Stil norddeutscher Backsteingotik von 1913 bis 1916 erbaut wurde und aus glasierten Ziegeln bestand, alle aus Cadiner Material. Heute ist von der stattlichen Kirche nichts mehr vorhanden: Wegen ihres wertvollen Materials wurde sie von den Polen abgebrochen. Die Ziegel fanden in Warschau Verwendung.

Das Erzeugnis, das zuletzt in Cadinen entstand - jahrelange Versuche gingen voraus - war der Klinker. Wohl wurden im Kreise Elbing klinkerähnliche Ziegel gebrannt, doch erst Cadinen blieb es vorbehalten, jenen wunderschönen blauen und violetten Stein zu schaffen, der viel Beachtung und Anerkennung fand und darüber hinaus das einzige Produkt dieser Art im Osten überhaupt war. In den Jahren 1936-39 entstand hier die modernste Klinkerfabrik Deutschlands, die vollautomatisch eingerichtet war. Ihre Erzeugnisse setzten fort, was einst 30 Jahre zuvor mit Cadiner Baukeramik begonnen hatte. Beispiele dafür waren unter anderem der Schmuck am neuen Polizeipräsidium in Elbing und der Poseidon am Giebel der Jugendherberge in Danzig.

Im Februar 1945 mussten die 500 Einwohner Cadinens vor den Russen flüchten. Wilhelm Dietrich landete nach furchtbaren Erlebnissen bei den Russen wieder in seinem Heimatort Lichte in Thüringen. Später wurde er nach Pinneberg verschlagen, wo er 1961 starb, ohne dass sich sein Wunsch erfüllte, in Norddeutschland wieder etwas aufzubauen, was an die Cadiner Tradition erinnerte. 

Ins Leben gerufen durch Wilhelm II., gefördert von ihm in den Jahren des Glanzes, weitergeführt durch die Energie und das überragende Können Dietrichs, haben die Cadiner Werkstätten zwar nur ca. 45 Jahre bestanden. Doch durch Formgestaltung, Erfassung der Eigenart des Werkstoffs Ton und vor allen Dingen durch besondere Farbgebung und die Verbindung mit Edelmetall und Bernstein hat Cadinen einen wichtigen Beitrag zur Geschichte der Keramik geleistet. 


Teil 8 oder Index

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