Cadinen -Teil
7 Um die Jahrhundertwende
lebte in Tolkemit der Töpfermeister Andreas Zimmermann. Auf Empfehlung von Gewerbeoberlehrer Bermwoldt aus
Elbing,
stellte er zwei junge Kunstmaler ein, die Brüder Gustav und Franz
Liedtke. Sie verzierten alles, was Herr Zimmermann auf der Töpferscheibe
herstellte, z. B. Vasen mit glasierter Schlicker-Malerei. Ab November
1920 arbeitete er, wie viele der durch das Aufkommen der
Emaille-Industrie arbeitslos gewordenen Tolkemiter Töpfer, für die von Kaiser Wilhelm II.
1904 gegründete Cadiner
Majolikawerkstätte. Gustav und Franz Liedtke begleiteten ihn nach
Cadinen. Schlicker
ist eine Mischung aus Wasser und Ton in keramischer Konsistenz, die mit
Farbe vermischt mit einem Malhörnchen (Gießbüchse) dick aufgetragen
und mit Glasur (einem glasähnlichen Überzug aus Kieselsäure mit
Flussmitteln, z. B. Bleiglätte, Magnesia) versehen wird. Die vordere Hälfte des
Beamtenhauses bewohnte Direktor Wilhelm Dietrich und in der hinteren
Haushälfte lebte die Familie von Obermaler Gustav Liedtke. Dietrich
stand außerdem noch eine Dienstvilla neben der Majolikafabrik zur
Verfügung. Als Frau Dietrich darauf bestand, außer der Villa noch das
ganze Beamtenhaus zu bewohnen, wurde die Familie Liedtke in ein kaltes
dunkles Haus umquartiert, das nicht einmal beheizt werden konnte. In der Dienstvilla neben der Majolika-Werkstätte wohnte zuerst
Gutsverwalter Rüdiger von Etzdorf, dann Rittmeister a. D. von Moltke
mit seiner Familie und später Wilhelm Dieterich, der Direktor der
Majolika-Werkstätte. Vasen und andere
Kunstgegenstände, darunter mit Silber beschlagene Ascher, eroberten
sich rasch den Markt, so dass durch Dietrichs Tatkraft die Krise für das
Werk überwunden war. 1926 übertrug der Kaiser dem 37-jährigen Wilhelm
Dietrich die gesamte künstlerische und kaufmännische Leitung der
Cadiner Werkstätten. In den 20er und 30er Jahren brachte Dietrich,
dessen eigentliches Gebiet Porträts waren, die auf große Wandteller
gemalt wurden - u.a. der Große Kurfürst, Friedrich der Große, Wilhelm
II. - mit Tiergruppen wie Wildschweinen, Mäusegruppe auf Ascher usw.
die weltberühmten Tonplastiken heraus. Mit einem Blick für
Gediegenheit und künstlerische Ausführung war hier an breite
Käuferschichten gedacht. Namhafte Künstler stellten gern ihre Modelle
zur Verfügung. Verschiedene Pferde-Modelle von Albert Hinrich Husmann
(1874-1946),
die Eule von Emil Krieger (geb. 1902), der Esel von Dorothea Kirchner-Moldenhauer
(geb.1884) oder die Elche von Arthur Steiner - um nur einige zu nennen, zeugen
davon. Gertrud Classen
(1905-1974), aufgewachsen in Elbing, Mitbegründerin des
Wandervogel-Mädchenbundes, hat bei dem Elbinger Maler Paul Emil Gabel
ersten Mal- und Zeichenunterricht erhalten. Dann lernte sie in den
Cadiner Majolikawerkstätten Keramikmalerin und studierte anschließend
in der Köngisberger Kunstakademie und in Berlin. Sie war in den 20er
Jahren in Cadinen tätig. Im Garten ihres Hauses in Berlin-Pankow hatte
sie eine Nachbildung des von ihr sehr geliebten Cadiner Dorfbrunnens
erbaut. Hans Haffenrichter,
ein in Elbing 1897 geb. Bildhauer und Illustrator, entwarf während
seiner Zeit als Lehrer an der Pädagogischen Hochschule in Elbing
1931-33, Dekore für Cadiner Gefäßkeramik. Von ihm stammten ein Kaffee-Service, Bowlenbecher und
verschiedene Väschen. An
dieser Stelle sei noch ein Wort über die Cadiner Kirche gesagt, die
nach Arthur Kicktons Entwurf im Stil norddeutscher Backsteingotik von
1913 bis 1916 erbaut wurde und aus glasierten Ziegeln bestand, alle aus
Cadiner Material. Heute ist von der stattlichen Kirche nichts mehr
vorhanden: Wegen ihres wertvollen Materials wurde sie von den Polen
abgebrochen. Die Ziegel fanden in Warschau Verwendung. Das
Erzeugnis, das zuletzt in Cadinen entstand - jahrelange Versuche gingen
voraus - war der Klinker. Wohl wurden im Kreise Elbing klinkerähnliche
Ziegel gebrannt, doch erst Cadinen blieb es vorbehalten, jenen
wunderschönen blauen und violetten Stein zu schaffen, der viel
Beachtung und Anerkennung fand und darüber hinaus das einzige Produkt
dieser Art im Osten überhaupt war. In den Jahren 1936-39 entstand hier
die modernste Klinkerfabrik Deutschlands, die vollautomatisch
eingerichtet war. Ihre Erzeugnisse setzten fort, was einst 30 Jahre
zuvor mit Cadiner Baukeramik begonnen hatte. Beispiele dafür waren
unter anderem der Schmuck am neuen Polizeipräsidium in Elbing und der
Poseidon am Giebel der Jugendherberge in Danzig. Im
Februar 1945 mussten die 500 Einwohner Cadinens vor den Russen
flüchten. Wilhelm Dietrich landete nach furchtbaren Erlebnissen bei den
Russen wieder in seinem Heimatort Lichte in Thüringen. Später wurde er
nach Pinneberg verschlagen, wo er 1961 starb, ohne dass sich sein Wunsch
erfüllte, in Norddeutschland wieder etwas aufzubauen, was an die
Cadiner Tradition erinnerte. Ins Leben
gerufen durch Wilhelm II., gefördert von ihm in den Jahren des Glanzes,
weitergeführt durch die Energie und das überragende Können Dietrichs,
haben die Cadiner Werkstätten zwar nur ca. 45 Jahre bestanden. Doch
durch Formgestaltung, Erfassung der Eigenart des Werkstoffs Ton und vor
allen Dingen durch besondere Farbgebung und die Verbindung mit
Edelmetall und Bernstein hat Cadinen einen wichtigen Beitrag zur
Geschichte der Keramik geleistet. Copyright Christa Mühleisen |