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Heinz Lipski, Jahrgang 1931, wollte Bauer oder Förster werden. Doch nach
Flucht und Vertreibung aus seiner Heimat Westpreußen und in den Jahren nach dem
Krieg bleiben viele Träume unerfüllt. Der politisch völlig unbedarfte 18jährige
ergreift die erstbeste Gelegenheit und wird Soldat, er "will sich das mal
ansehen". Daraus werden 40 Jahre Dienst in Uniform und eine steile Karriere.
1989 steht Heinz Lipski vor dem Scherbenhaufen seines Lebens und wieder vor
einem neuen Anfang.
"Es war wohl meist zufällig, wo einer aus dem Osten kommend nun landetet, ob im Osten oder im Westen Deutschlands ... Das meine Familie im Kreis Templin eine neue Heimat fand, wurde damals weder als Glück noch als Unglück empfunden. Es war einfach so und nicht anders ... Nun mußte ich etwas daraus machen. Wenn es mich in den Westen verschlagen hätte, vielleicht wäre ich ein aktiver Kämpfer im Vertriebenen-Verband, vielleicht auch Förster oder gar General der Bundeswehr geworden, vielleicht ..."
Heinz Lipski: Immer wieder diese Sehnsucht. Ein Soldat
erinnert sich. 2. erw. Auflage 2003. Paperback, 184 Seiten, Format 19 x 12,5
cm.
Preis 9,80 Euro ISBN
978-3-933416-34-6
Leseprobe – Heinz Lipski: Immer wieder diese
Sehnsucht
März 1946. Wir sahen eine neue, uns
nicht vertraute Gegend, die unsere Heimat auf Dauer werden sollte. Keine Polen,
keine Bahn, keine Plünderung, kein Notlager, nicht mehr frieren – es war schon
ein angenehmes Gefühl, der Tortur des Flüchtlingslebens entronnen zu sein. Im
Sommer 1946 kam mein Bruder Horst aus der Gefangenschaft. Doch damit war
verbunden, daß er der erste sein sollte, der ein Studium aufnahm. Mit Hilfe des
Dorflehrers bekam er einen Studienplatz in Potsdam Babelsberg, um Neulehrer zu
werden. Ich durfte in der Folgezeit mit Butter, Mehl, Sirup und anderen Eßwaren
nach Babelsberg fahren, um meinem Bruder beim Studium über die Runden zu helfen.
Und meine Eltern meinten, sicher berechtigt, daß das Geld nicht reichen würde.
Also, Förster adé!
1949, ich ging auf das 18. Lebensjahr zu, mußte ich mich entscheiden, was
beruflich weiter aus mir werden sollte, womit ich meine "Brötchen verdienen"
wollte. Der jüngere Bruder sollte die Wirtschaft erben.
Meine erste
diesbezügliche Station war die MAS (Maschinenausleihstation) in Herzfelde. Ich
wollte dort als Traktorist arbeiten, doch schien mir das keine Perspektive zu
sein. Auch die Eltern und besonders mein Bruder Horst meinten, ich solle mehr
aus mir machen, vor allem etwas geistig Anspruchsvolles. Gut gebrüllt, Löwe, so
dachte ich. Ich hatte nach meinen bescheidenen Schulkenntnissen in den Jahren
nach dem Krieg nichts weiter dazugelernt. Welche Institution war bereit, mir
dennoch eine berufliche Karriere zu ermöglichen, die mir intellektuelles
Vermögen abverlangte?
Just zu dieser Zeit wurde ich von einem Bekannten meines Bruders Horst, der
bereits Lehrer in Templin war, angesprochen, ob ich nicht Interesse hätte, die
Uniform anzuziehen und in den Polizeidienst einzutreten. Die Ausbildung wäre
dort garantiert mit allen Chancen für berufliche Entwicklung bei einem
Ausscheiden aus dem Dienst. Da sich nichts anderes bot, ergriff ich den
Strohhalm und wollte mir die Sache einfach mal ansehen. Aus dem Ansehen sind
dann schließlich 40 Jahre Dienst in Uniform geworden.
Mir das mal anzusehen,
das war auch meine ganze Motivation. Ich war ideologisch zu der Zeit weit weg
von einer Partei, hatte weder eine Ahnung, was es da alles gibt, noch trauerte
ich "alten Zeiten" nach. Ich wußte nichts von einer Gründung der BRD und auch
kaum etwas von einer DDR. Wie man so sagt, war ich ein politisch unbeschriebenes
Blatt. Ich wollte nur etwas aus mir machen. Es war eine neue, mir völlig
unbekannte Wegstrecke mit allen damit verbundenen Konflikten, die ich nie lösen
konnte.
Am 16. November 1949, mittwochs, einem Buß- und Bettag, zog ich in die "Rote
Kaserne" in Prenzlau ein. Es war ein Aufbruch ins Ungewisse. Es sollte aber die
Entscheidung meines weiteren Lebens werden.
Ich hatte es so gewollt, nun
mußte ich die Konsequenzen verkraften. Da half mir auch kein Weh und Ach.
Erstmals von zu Hause weg, lebte ich von nun an in einer Kaserne mit zehn Mann
auf einer Stube. Alle in meiner Gruppe waren jung wie ich und hatten wohl auch
Heimweh – ohne daß einer es dem anderen anvertraute. Ich habe manchmal nachts in
meine Kissen geweint, weil ich mich nach Hause sehnte. Ich verstand mich selbst
nicht, warum ich mir das antun mußte. Erst nach dem ersten Urlaub wurde es um
mein Seelenleben besser.
Am 30. Jahrestag der DDR – nach 30 Dienstjahren – erfolgte meine Ernennung
zum Generalmajor. Das ist für einen Soldaten, der sich mit Leib und Seele einer
Sache verschrieben hatte schon ein erhebendes Gefühl. Ich habe in meiner
Dienstzeit versucht, ich selbst zu sein und zu bleiben. Auch das hatte seine
Grenzen. Ich war zu viel Partei, zu viel DDR und zu viel in der Verantwortung
für mein Vaterland, auch zu viel disziplinierter Soldat, um mich in dieser Zeit
anders zu verhalten, als es meine Armeeführung verlangte.
In den 80er Jahren hoffte ich, daß sich in der Parteiführung und Regierung
der Realitätssinn durchsetzen würde und sie Schritte einleiteten, die der
wirtschaftlichen Lage und der politischen Unzufriedenheit besonders unter jungen
Menschen Rechnung getragen hätten. Sehnte ich mich in den Jahren davor danach,
daß die DDR vor der Welt noch deutlicher und allseitiger die Überlegenheit über
den Kapitalismus demonstriert, so war jetzt mein Wunsch schon bescheidener.
Jetzt hoffte ich auf Schritte in der Politik, die mir das erhalten, worauf ich
mein ganzes Dasein gesetzt hatte. In und mit der DDR wollte ich mit meiner Frau
in Ruhe und Frieden alt werden. Das sollte nicht sein.
Ich wollte mich nicht damit abfinden, ohne Arbeit, ohne Verantwortung zu
sein, einfach in den Tag hineinleben, mich nur treiben lassen. Wer das mit
seinem Leben zuläßt, weiß nie, wann, wo und wie er strandet. Ich war mir für
keine Arbeit zu schade, füllte zum Beispiel in der Apfelernte mit anderen
Kameraden Kiste um Kiste. Das war eine Beschäftigung, über die ein General der
Bundeswehr natürlich nur müde lächeln konnte. Ja, die Einheit hatte eben Sieger
und Besiegte hervorgebracht bzw. hinterlassen.
Im November 1991 erschien eine Annonce in der Zeitung, daß in Berlin ein
Lagerarbeiter gesucht wird. Ich dachte, es ist gut, wenn ich das, was der
Augenblick bietet, als Angebot annehme. Es ging schließlich um meine
Ausgeglichenheit. Lohn etwa 1.000 DM brutto/Monat. Ich erklärte meine
Bereitschaft ohne Bedenken, weil ich eine Aufgabe wollte. Dann bekam ich einen
Fragebogen ausgehändigt, den ich sofort ausfüllen und abgeben sollte. Nach
Prüfung, so wurde erklärt, bekäme ich dann Bescheid, ob ich der "Auserwählte"
sei. Die letzte Frage auf dem Fragebogen lautete: "Wenn Armee, dann Dienstgrad".
Nachdem ich geschrieben hatte, NVA/Generalmajor, machte ich mir wenig
Hoffnung.
Mein ausgefüllter Fragebogen war Anlaß von Meinungsverschiedenheiten in der
"Kommission" geworden. Der Chef plädierte wegen Pflichtgefühl, Treue, Disziplin
und Ordnung für den Soldaten/General. Der Mitarbeiter aus Leipzig/DDR wollte
nicht mit einem "Militaristen" zusammenarbeiten. Nun bot sich dem Chef die
Möglichkeit zur festeren Meinungsbildung. Er schilderte uns in den düstersten
Farben die Tätigkeit des Lagerarbeiters; Dreck, abgebrochene Fingernägel, Kälte
(keine Heizung) und anderes.
Doch hauptsächlich wurde er nicht damit fertig,
wie ich unter Berücksichtigung meiner ehemaligen Position psychisch-moralisch
eine Einstellung zu solch einer "niederen Arbeit" werde finden können. Es müßte
mich doch jeden Tag neu Überwindung kosten, die Halle zu betreten und
dergleichen mehr. Er hat sich wohl sehr von seinem Bundeswehrbild leiten
lassen.
Rezensionen – Heinz Lipski: Immer wieder
diese Sehnsucht
Ein Leben im
Widerstreit zweier politischer Systeme
Heinz Lipski wollte kein politisches Buch schreiben. Eigentlich wollte er
überhaupt nie schreiben. Doch als der 71-Jährige vor drei Jahren aufgehört hatte
zu arbeiten, begannen die Gedanken noch intensiver als sonst um sein Leben als
Soldat zu kreisen. Hatte es einen Sinn gemacht, konnte er vor sich selbst
bestehen? Heinz Lipski begann, seine Erinnerungen aufzuschreiben, sich selbst
kritisch zu befragen. "Immer wieder diese Sehnsucht" heißt sein anrührendes
ehrliches Resümee. Ohne politische Bekenntnisse konnte es nicht bleiben, denn
Heinz Lipskis Leben war, ohne dass er sich das als junger Mann so ausgemalt
hätte, sehr direkt vom Widerstreit zweier politischer Systeme geprägt.
"Ich wollte Förster werden, das ging nicht, weil mein Bruder bereits
studierte", erzählt er. Für zwei Studenten, so meinten seine Eltern damals,
hätte das Geld nicht gereicht. Was bot sich für einen 18-Jährigen, der in den
Wirren des Krieges gerade einmal sieben Schuljahre absolvieren konnte? Heinz
Lipski arbeitete als Traktorist in Herzfelde, seine Familie war nach dem zweiten
Weltkrieg aus Polen geflüchtet und hatte in Briesen bei Milmersdorf ein Stück
Land bekommen. Jemand schlug ihm vor, zur Kasernierten Volkspolizei zu gehen.
"Ich war politisch ein völlig unbeschriebenes Blatt. Ich wollte mir das einfach
nur mal ansehen", erinnert er sich.
Die Kasernierte Volkspolizei, aus der später die Nationale Volksarmee hervor
ging, bot ehrgeizigen jungen Männern wie ihm viele Möglichkeiten. Heinz Lipski
schloss unter Aufbietung all seiner Kräfte schon mit 20 die Politoffiziersschule
ab. Bildete Funkoffiziere aus, wurde Diplomlehrer, ging in die Politische
Verwaltung der Luftstreitkräfte, absolvierte die Dresdner Militärakademie und
einen akademischen Kurs für Stabsoffiziere der Luftstreitkräfte bei Moskau. Nach
30 Dienstjahren wurde er Generalmajor.
Er hielt seinem Staat und einer Idee die Treue. Und er ist heute noch fest
davon überzeugt, zur Wahrung des Friedens in Europa entscheidend beigetragen zu
haben. "Sehen Sie sich an, wie die Amerikaner agieren können, seitdem es das
militärische Gleichgewicht nicht mehr gibt. Es ist niemand da, der sie bremst",
argumentiert er. Eine Übernahme in die Bundeswehr schien ihm kurz nach der Wende
unmöglich, quasi von einem Tag auf den anderen die Uniform und die Überzeugung
wechseln, das konnte er nicht.
Dafür war sich Heinz Lipski nicht zu schade als Lagerarbeiter tätig zu
werden. Er hatte auch dabei Erfolg, arbeitet sich zum Disponenten hoch. "Ich
habe Arbeit nie gescheut." Heute begleitet er von April bis November
Reisegruppen durch den Nordosten Deutschlands und sein Buch ist dabei mitunter
auch Gesprächsstoff.
Ulrike Buchmann, Uckermark Kurier vom
10.12.2002
... Lipski will keine realistische und kritische Nachbetrachtung auf seine
und unser aller gelebte Biographie. Das Frappierende an seiner Geschichte ist
überhaupt die Kluft zwischen wirklichem Lebensprozess und individuellem
Bewußtsein, die Entpolitisierung der Betrachtungsgegenstände. Ich entdecke bei
dem Autor, das die Idee des Sozialismus offensichtlich von ihm nie Besitz
ergriffen hat. Wie sollte sonst ihre schnelle Entsorgung 1990, sein
Parteiaustritt und Einstieg fortan in ein Leben politischer Enthaltsamkeit
erklärt werden. Sein Rückblick aufs Soldatenleben bekräftigt diese
Fragwürdigkeit. Es sind nicht weltanschauliche Motive und bewußt gewordene
Einsichten in die politische Notwendigkeit, die ihn antreiben. "Ich wollte immer
nur der Beste sein", schreibt er ... Der Autor hat sich für die Interpretation
der Welt entschieden, nicht für deren Veränderung.
Walter
Müller, Inpulse (Zeitschrift der PDS Strausberg) 07/2002
Wir freuen uns sehr, ja wir sind sogar ein wenig stolz darauf, daß wir Sie
kennenlernen durften, einen Generalmajor! Zu "normalen" Menschen aus der DDR
hatten wir ein klein wenig Beziehung, es waren Verwandte von Bekannten. Wir
haben Päckchen geschickt und die Leute tief bedauert, weil sie eingesperrt waren
... Doch Offiziere, Soldaten oder Zollbeamte, nein, mit denen wollte ich nichts
zu tun haben, davor hatte ich Angst. Und nun lernten wir einen kennen, einen
offenen sympathischen Menschen. Das hat unsere Vorstellung von den früheren
höheren Militärs von "drüben" doch sehr positiv beeinflußt.
Renate und Willy Schmid, Donzdorf
(Baden-Württemberg)
Ich habe mich sofort ans Lesen gemacht, und nicht wieder aufgehört. Wann ist
mir das schon einmal passiert? Ich glaube, bei Kants "Aula", als ich die Nacht
durchgelesen habe. Damals dachte ich, wir seien stark, wir konnten über uns
lachen. Nicht stark genug, wie sich zeigte.
Es hat mir gefallen, Sie stark zu
sehen, nicht im Verbissenem beharren, mehr in der Haltung, sich nicht
unterkriegen zu lassen. Das scheint mir wichtig, wenn man sich manchmal fragen
muß: Was bleibt?
Gerhard Kolbe,
Münster
Ich habe dieses Buch mirt Interesse und auch mit Mitgefühl gelesen und kann
mich in die Enttäuschung von Menschen hineindenken, die in einer Zeit
gravierender politischer Umbrüche nicht nur gelebt, sondern im positiven Sinne
ihrem Staat gedient haben und sich nun um ihre volle Anerkennung gebracht sehen.
Ich bewundere aber auch die disziplinierte Haltung des Autors, der trotz allem
nicht resigniert hat und Hoffnung in Zukunft setzt, wenn auch ncht in die
Politik, sondern auf die Menschen und da besonders auf die Kinder und
Enkel.
Eine vorurteilsfreie der Befindlichkeiten hüben und drüben der
ehemaligen Trennungslinie wird sicherlich noch etwas dauern, haben wir doch alle
allzulange in verschiedenen Verhältnissen gelebt, das darf natürlich keine
Entschuldigung, sondern muß Ansporn sein, verständnisvoll die Verbesserung der
zwischenmenschlichen Beziehungen zu suchen und herbeizuführen.
Luitgard und Reinhard Linder, Karlsruhe
Das Büchlein, das ich mit viel Genuß und Gewinn gelesen habe, schildert den
Lebensweg eines westpreußischen Bauernjungen (Jahrgang 1931) von der Kindheit
bis zum Generalmajor der NVA. Die Stationen seines Lebens sind eindrucksvoll,
spannend und einfühlsam beschrieben. Ich habe das Büchlein in der Buchhandlung
Micklich für 9,80 Euro gekauft und kein Cent davon tut mir leid.
Rudolf Härtl