Erinnerung an die weltberühmte Orgelbauanstalt Terletzki - Wittek

in der Wilhelmstraße 56 in Elbing und Terletzki - Goebel in Königsberg

Wer durch Elbings Wilhelmstraße ging, sah im Bereich der St. Marienkirche ein Haus, das wegen seiner altertümlichen Bauart und besonders wegen seines kirchenartigen Portals Interesse erregte. Es wurde etwa um 1390 in Ziegelbauweise erbaut. Es ist eines der wenigen Häuser in der Altstadt, das nicht mit dem Giebel zur Straßenfront stand, ein sogenannes Querhaus.



Das Haus Wilhelmstraße 56


Ein weiteres Querhaus stand in der Spieringstr. 12/13. Besonders im 19. Jahrhundert wurden noch einige Häuser ohne Giebel dazu gebaut, z. B. an der Stelle des im Jahre 1877 abgebrannten Rathauses am Alten Markt, sowie die umgebauten Kaufhäuser (Dyck - Jakoby - Lublinski - Löwenthal).

Für die Feststellung der Erbauungszeit dieses gotischen Hauses gibt das Portal in der Vorhalle des Domes in Frauenburg einen Anhaltspunkt, das 1388 entstanden ist. Dieses Portal hat dem Portal des Hauses Wilhelmstraße 56 als Vorbild gedient, das als vereinfachte Nachbildung zu bezeichnen ist. Anhand der "Wiesenregister" und dem "Verzeichnis der Eigentümer der städtischen Grundstücke" konnte man die Eigentümer des Hauses bis 1421 zurückverfolgen. Unter den Namen der Eigentümer: Rote - Braun - Bryn - Greff - Schön - Black - Zabel - Wartenberg, befindet sich auch von 1650 - 1700 der Name des Bürgermeisters Roßkopf.

In dem Haus in der Wilhelmstraße 56, das noch den Bauten des ehemaligen Dominikanerklosters zugesprochen wurde, gründete im Jahre 1857 August Terletzki die weit über die Heimatstadt Elbing hinaus berühmte und älteste Orgelbauanstalt Nordostdeutschland. Er leitete die Firma in den ersten Jahren gemeinsam mit seinem Bruder Max. 1871 verließ Max Terletzki die Elbinger Firma und gründete in Königsberg eine eigene Orgelbauanstalt. 1902 übernahm Bruno Goebel die Firma von Max Terletzki in Königsberg. Seine Söhne Alfred und Friedrich Goebel führten die Firma bis 1944 weiter. 1920 gründete der 3. Sohn von Goebel, Josef, seine eigene Firma in der Freistadt Danzig.

Es folgen zwei handschriftliche Briefe von Bruno Goebel, dem Nachfolger der Orgelbau-Anstalt von Max Terletzki in Königsberg vom 15. September 1902 und vom 15. Juli 1909.






In den 1880er Jahren wurde August Terletzki (Elbing) unter anderem mit dem Neubau der großen Orgel in der St. Marienkirche zu Danzig betraut, die dann ein halbes Jahrhundert ihren Dienst getan hat.



Große Orgel und Taufkapelle in der St. Marienkirche zu Danzig


Nicht nur aus Ost- und Westpreußen kamen Aufträge, sondern auch aus dem Ausland, sogar von Manila auf den Philippinen. Durch solide und künstlerische Arbeit erwarb sich Terletzki einen guten Ruf. Als ein Sohn Terletzkis, der das Werk des Vaters fortführen sollte, starb, war Terletzki gezwungen, sich nach einem Nachfolger umzusehen, dem er sein Werk anvertrauen konnte. Er fand ihn in seinem ehemaligen Schüler Eduard Wittek, der in Graudenz/Westpreußen eine eigene Orgelbauwerkstatt betrieb. 1893 übernahm Eduard Wittek das Terletzkische Unternehmen.

Es folgt ein handschriftlicher Brief der Orgelbau-Anstalt A. Terletzki, Inh. Eduard Wittek, geschrieben am 30. Oktober 1907 in Elbing mit einer Erläuterungsschrift zum Kostenaufschlag betreffend den Umbau der Orgel in der katholischen Pfarrkirche zu Putzig und Unterschrift von Eduard Wittek, Hof-Orgelbaumeister.






Bald zeigte sich, dass Terletzki seine Orgelbauanstalt in keine besseren Hände hätte legen können, als in die von Eduard Wittek. Die Aufträge mehrten sich: die Werkstätten, in denen ca. 30 Mann schaffen konnten, wurden oft zu eng. Das Arbeitsfeld erweiterte sich und reichte vom Memelland bis zum Bezirk Stettin und von der Ostsee bis zum Wartheland. Eduard Witteks Werke waren nicht nur in kleinen Städten und Dörfern zu finden, sondern auch in Danzig, Thorn, Allenstein, Tilsit und nicht zuletzt in Königsberg. Von den 20 Orgeln, die in Elbinger Kirchen, Kapellen und Schulen standen, entstammten 16 der Elbinger Anstalt. In allen Dorfkirchen des Landkreises Elbing erklangen Orgeln von Wittek. Ins Ausland gingen von 1914 u. a. Werke nach Irkutsk in Sibirien und nach St. Veit bei Badgastein in Österreich.

Der erste Weltkrieg brachte dem Orgelbau wesentliche Einschränkungen, auch die folgende Inflationszeit verursachte wegen der ständigen Geldentwertung große Schwierigkeiten, da die Herstellung einer Orgel Monate beansprucht. Mit der Stabilisierung der Währung setzte dann nach und nach wieder eine rege Bautätigkeit ein. Bemerkbar machte sich nach dem ersten Weltkrieg die Abtrennung Danzigs mit Zoll- und Devisengrenze. 

Höhepunkte im Leben Eduard Witteks gab es 1906, als er zum Hoflieferanten des Prinzen Friedrich Leopold von Preußen ernannt wurde, 1916, als Kaiser Wilhelm II. ihm persönlich in der neuen Cadiner Kirche seine Anerkennung für die erbaute Orgel aussprach, und 1925, als er mit seinen Mitarbeitern die Fertigstellung der 500. Orgel feiern konnte.



Blick auf die Orgel von Eduard Wittek in der kaiserlichen Hofkirche in Cadinen


Nach einem schaffensreichen Leben starb Eduard Wittek 1927 im 71. Lebensjahr. Er fand auf dem Elbinger St. Marienfriedhof seine letzte Ruhestätte. Seine Erben hatten die Verpflichtung, das bereits 70 Jahre bestehende Unternehmen fortzuführen. Nach dem Tode von Eduard Wittek übernahm sein Sohn Gerhard, der ebenfalls den Beruf des Orgelbaumeisters ergriffen hatte, das Unternehmen, welches er 18 Jahre lang bis zum Ende im Januar 1945 erfolgreich weiterführte. Gestützt auf einen langjährig bewährten Mitarbeiterstab, konnten noch 34 neue Werke geliefert werden, darunter nach Tilsit (Staatl. Gymnasium), Königsberg (Rosenauer Kirche, Stadtgymnasium, Altstadt-Kneiphof), Danzig (St. Salvator), Schivelbein/Pommern (St. Marienkirche) und Naugard im Bezirk Stettin (St. Marienkirche). Außer Neubauten und größeren Instandsetzungen waren jährlich 150 bis 200 Orgeln zu überprüfen, regulieren und stimmen, wozu fast ständig zwei Orgeltechniker und -stimmer unterwegs waren.

Von Organisten und Freunden der Orgel wurde die Elbinger Orgelbauanstalt gern besucht, bot doch ein Gang durch die Werkstätten für sie viel Interessantes und Lehrreiches. Man betrat das alte ehrwürdige Haus durch ein reich geschnitztes Tor und gelange zunächst in eine durch zwei Stockwerke  gehende Diele, die so groß war, dass sie auch als Montagehalle verwendet wurde. Von hier ging es in die Werkstätten mit den Holzbearbeitungsmaschinen, in denen langjährig abgelagertes, astreines Holz zu Pfeifen, Gebläsen, Windladen und anderen Orgelteilen verarbeitet wurde. Ein Treppenaufgang führte in einen Arbeitsraum, in dem Spieltische und Apparate für den Orgelmechanismus entstanden. Diesem schloss sich die Werkstatt für Metallpfeifen an. Hier formten sich Zinn-, Zink- und Kupferplatten zu Orgelpfeifen. In einem separaten Raum befand sich eine Intonierorgel, mit der die aus der Werkstatt kommenden Pfeifen intoniert und vorgestimmt wurden; man konnte auch scherzhafterweise sagen, dass in diesem Raum den Pfeifen die Flötentöne beigebracht wurden. Waren alle Orgelteile, die genau nach Zeichnungen, Maßstäben und Tabellen hergestellt
werden mussten, fertig und überprüft, wurden sie sorgfältig verpackt an den Bestimmungsort geschickt. Mehrere Orgelbaumonteure nahmen dann die Aufstellung der Orgel an Ort und Stelle vor, und durch den Meister erhielt sie den letzten Schliff.

Da eine Orgel von mittlerer Größe schon ca. 2000 Pfeifen erhält, von denen die längste 5 Meter und die kleinste die Länge einer kleinen Stricknadel hat, so lässt sich daraus ermessen, wieviel Arbeit in einer Orgel steckt, zumal größtenteils alles Handarbeit ist.

Das Krisenjahr 1932, das alle Wirtschaftszweige erfasste, ging auch an der Elbinger Orgelbauanstalt nicht spurlos vorüber, konnte aber von ihr überwunden werden. Die letzte Orgel, die aus der Elbinger Orgelbauanstalt hervorging und kurz vor Kriegsausbruch fertig wurde, erhielt die Gutskirche des Freiherrn von der Goltz in Kreitzig bei dem Ostseebad Kolberg. Aus kriegsbedingten Günden musste die weitere Bautätigkeit eingestellt werden und es wurden nur noch Reparaturen ausgeführt. Außerdem wurde im Hause Wittek eine Uniformschneiderei eingerichtet.

Und dann kam der 22. Januar 1945 und mit ihm der Abschied für Orgelbaumeister Gerhard Wittek von Elbing und vom alten Hause in der Wilhelmstraße. Nach ruhelosen Monaten bestimmte das Schicksal für ihn als neue Heimat Bayern, zuerst Eschenbach in der Oberpfalz, ein Kreisstädtchen mit 2000 Einwohnern, 50 km von Bayreuth entfernt. In diese weltabgeschiedene Gegend hatte sich schon jahrelang kein Orgelbauer verirrt, so dass es hier viel zu tun gab. Die ersten Orgelinstandsetzungen konnten nur mit geliehenem Werkzeug ausgeführt werden, da es nicht einmal einen lumpigen Schraubenzieher zu kaufen gab. Auch Material musste von einheimischen Handerkermeistern erbettelt werden. Weder Leder, Leim, Schrauben noch Nägel waren käuflich. Die Einheimischen taten, was sie konnten und manche, seit Jahren defekte Orgel, wurde zu ihrer Freude wieder ordentlich spielbar. Es ist verständlich, dass hauptsächlich Instandsetzungen von Dorfkirchenorgeln übernommen wurden, weil die Verpflegung auf den Dörfern erheblich besser war, als in den Städten, stellenweise sogar friedensmäßig und ohne Lebensmittelmarken. Die Reisen erfolgten in den ersten Monaten nach der Kapitulation auf Schusters Rappen, da alle Verkehrsmittel ruhten. Fußmärsche von 20-30 km an einem Tage waren keine Seltenheit. Kurz vor der Währungsreform wurde im Zuge einer Umsiedlungsaktion der Wohnsitz in den Raum Würzburg verlegt, zuerst nach Marktheidenfeld am Main und dann nach Würzburg-Zell. Einige Raparturreisen konnten noch unternommen werden, dann zwang ein fortschreitendes körperliches Leiden Orgelbaumeister Wittek zur Aufgabe des Berufes.

Textangaben:

Preuß, Hans: "Elbings ältestes Haus - Orgelbauanstalt Terletzki-Wittek, Wilhelmstr. 56", Der Pangritz Kurier, Heimatzeitung der Pangritz Kolonie und Freundeskreis, Nr. 4 Dezember 1998.

S., G.: "Elbing lieferte Orgeln bis Sibirien", Elbinger Nachrichten, hrsg. von Günter Preuschoff, Oldenburg/Uelzen im Verlag der Elbinger Nachrichten, 5. August  1967.

Wittek, Gerhard: "Elbinger Orgelbauanstalt vor 100 Jahren gegründet", Elbinger Nachrichten, hrsg. von Günter Preuschoff, Oldenburg/Uelzen im Verlag der Elbinger Nachrichten, Ostern 1957.

Bildangaben:

Mühleisen, Christa: Ansichtskarten und Briefe.