Die dreifache Weihnachtsbescherung

Auf dem Gut Lautensee war jedes Jahr eine Weihnachtsbescherung für die Kinder aller Gutsleute. Auch die Kinder von dem abgelegenen Vorwerk Litewken kamen dazu herüber. Es wurden Weihnachtslieder gesungen, Weihnachtsgedichte aufgesagt (mehr oder weniger fließend und mehr oder weniger westpreußisch), und dann bekam jedes Kind ein paar kleine Geschenke und einen großen bunten Teller mit Äpfeln, Pfeffernüssen und Süßigkeiten. – Ja, aber die Schwierigkeit für die Kinder war nun die: Wie transportiert man seine Beute nach Hause?

         Am praktischsten wäre es natürlich gewesen, sich gleich von Hause einen leeren Korb mitzubringen, aber wie hätte das ausgesehen! Nein, so unbescheiden konnte man nicht auftreten und durfte ja auch nicht die Feierlichkeit der Weihnachtsbescherung beeinträchtigen. Also mußten die Körbe zu Hause bleiben und man mußte nach der Bescherung seine Gaben unter den Arm klemmen oder sie in Schürzen, Mützen, Hosen- und Jackentaschen nach Hause tragen.

         Die kleine Ida Schulz vom Vorwerk war erst fünf Jahre alt und mußte nun nach der Bescherung in finsterer Nacht zusammen mit ihren Geschwistern, mit Schätzen schwer beladen, den weiten Heimweg antreten. Es war strenges Frostwetter, ohne Schnee, und die kleinen Hände froren ihr trotz ihrer Fäustlinge, denn sie mußte damit ja immerzu ihr prallgefülltes Schürzchen festhalten, so daß sie sich nicht einmal die Nase wischen konnte. Ihre steifen Fingerchen gaben schließlich nach, sie ließ einen Schürzenzipfel fahren und alle weihnachtlichen Herrlichkeiten verstreuten sich in der Finsternis über den Weg und in die ausgefahrenen, hartgefrorenen Wagengleise. – Das war die zweite Bescherung, und herzzerreißend tönte das Jammergeschrei durch den Heiligen Abend!

Die größeren Geschwister trösteten: „Idache, sei man stillche, mei Gold! Wein’ man nich, halt’ man die Schürzche auf, wir hebe auch aller scheen wieder auf, heerst!“ Und sie tappsten mit dicken Wollhandschuhen auf dem dunklen Erdboden herum und sammelten alles, was sie fanden, in die Idache ihr Schürzche, bis es wieder ganz voll war und Idaches Tränen versiegten.

        Aber der größte Schreck kam erst: Als Idache zu Hause alles bei Licht besah, da hatte sie zwar ihr Schürzche voll Äpple, - das ja. Aber – Erbarmung! – was für Äpple? Lauter gefrorene Pferdäpple!! Ach Gott, das war die dritte Bescherung an diesem Weihnachtsabend, und die kleine Idache hat sooo mußt weinen!

 

Flottwell, Eberhard von: „Die dreifache Weihnachtsbescherung“ im Westpreußen-Jahrbuch 1950, hrsgg. von der Landsmannschaft Westpreußen, Lübeck: Verlag Max Schmidt-Römhild, 155 Seiten, S. 133+134.