Das Kulmerland als Ausgangsgebiet für das

Siedlungswerk des Ordens

von Gerhard Templin

(Bearbeitung C. Mühleisen)

Das Kulmerland ist ein historischer Raum, der im frühen Mittelalter von den heidnischen Prussen und Polen besiedelt war. Dieses Gebiet war im Besitz des polnischen Herzogs von Masowien, der im Kampf mit den Prussen den Deutschen Ritterorden zu Hilfe rief. Dieser Orden wurde 1198 bei einem Kreuzzug im Heiligen Land vor Akkon gegründet und vom Papst durch Bulle mit dem schwarzen Kreuz auf weißem Mantel belehnt. Der Orden folgte dem Ruf des Herzogs und erhielt das Kulmerland als Lohn für die Hilfe zu Eigentum. Im Jahre 1226 bestätigte Kaiser Friedrich der II. und später auch der Papst dem Orden in der Goldbulle von Rimini das gesamte Kulmerland und noch weitere Gebiete.

Die Weichsel bildete die Grenze gegen Kujavien, die Drewenz gegen das Dobriner Land und die Ossa gegen die Landschaft Pomesanien, d. h. flächenmäßig waren es die Kreise Graudenz, Strasburg, Löbau, Kulm und Thorn. - Kulm wurde 1233 gegründet und 1243 Bistum. Diese Stadt erhielt den Vorrang vor allen Städten des Weichselgebietes und das Kulmer Recht. (Die Kulmer Handfeste war nicht nur Stadtrecht, sondern auch Landesgesetz, drin Rechte und Pflichten, Bedingungen und Formen der Ansiedlung, der städtischen und ländlichen Wirtschaft und der Wehrhaftigkeit.) Grundlage war das Magdeburger Stadtrecht. Der Orden behielt sich gewisse Monopole vor, u. a. auf Salz, Gold, Silber, See, Jagd und Fischerei.

Dieses "Kulmische Recht" galt nicht überall, so waren es die großen Städte wie Elbing, Braunsberg, Frauenburg wo lübisches Recht oder Lübecker Recht galt.

Es war die historische Stunde für das Kulmerland, als der Landmeister des Deutschen Ritterordens, Hermann Balk, im Jahre 1231 auf dem westlichen Ufer der Weichsel, gegenüber der späteren Stadt Thorn, die Burgen Vogelsang und Nessau anlegte. Später errichtete er einen Brückenkopf auf dem östlichen Ufer und baute mit sieben Ordensbrüdern und Hilfstruppen eine Burg. Damit war 1223 der Grundstein zur Stadt Thorn gelegt. Von diesem Stützpunkt aus (Baumburg) begann der Orden sein einmaliges, umfangreiches gewaltiges Kolonisationswerk des gesamten Preußenlandes.



Deutsche Ordensritter nach einer Zeichnung aus dem 14. Jahrhundert

Die Ordensritter, die Herrn mit dem weißen Mantel und dem schwarzen Kreuz, unter denen sich nicht nur deutsche Ritter, sondern Adlige aus fast allen westeuropäischen Ländern befanden, hatten an der Weichsel einen sieghaften und kühnen Beginn. Sie wurden hier sehr gut ausgebildet und erhielten den Ritterschlag und wurden dann zum Ritter. Es war lange der beste Ruhm des christlichen Edelmanns. Könige rechneten sich's zur Ehre, wenn der Orden sie aufnahm als seine Halbbrüder. (Der Ritterschlag ist ein Schlag mit dem flachen Schwert auf den Nacken des knienden Edelknappen.)

Doch jahrzehntelang waren die Ordensritter in schwere Kämpfe verwickelt und mussten immer wieder tapfer und zäh ihr kulturbringendes Aufbauwerk verteidigen. Etwa um 1280 war der Orden Herr der Lage und konnte sein Siedlungswerk friedlich betreiben. Das Kulmerland als das Ausgangsgebiet war am ehesten befriedet. Eine straffe Verwaltung teilte es in größere und kleinere Bezirke, Komturen und Pflegeämter. Das Kerngebiet war in 10 Komtureien aufgeteilt. Birglau, Nessau, Papau, Schönsee und Thorn-Pien, Althausen, Wonneberg, Leipe und Villisas.

Waren in der Kampfzeit vorwiegend wuchtige Burgen und feste Plätze angelegt worden, so gründeten die Ordensritter jetzt Bauerndörfer. Den Dorfschenkungen voraus gingen meistens umfangreiche Landschenkungen an Ritter, die mit dem Orden im Kampfe gegen die Heiden ostwärts gezogen waren. Deutsche Ritter traten als Grundbesitzer im Kulmerland schon Ende des 13. Jahrhunderts auf. Namen wie: von Ziegenberg, von Glasau, von Plenchau sind unter diesen ersten deutschen Adligen des Kulmerlandes. Zu den frühesten deutschen Bauerndörfern zählten Sarnau 1223, Althausen 1230, Scharnese 1248. Der größte Teil des Grund und Bodens im Kulmerland war Ordensbesitz. Neben ihm waren die Geistlichkeit, der Bischof von Kulm und die Klöster, der größte Grundbesitzer. Anfang des 15. Jahrhunderts hatte die Diözese Kulm schon 15 Kirchspiele.




Bauern pflügen urbar gemachtes Land - nach einer Zeichnung aus dem Jahr 1445

Auch die Benediktiner-Nonnen von Thorn besaßen 6 Dörfer. 13 Dörfer gehörten dem Domkapitel zu Kulm. Überall in diesen Dörfern saßen überwiegend deutsche Bauern, die hauptsächlich aus dem niederdeutschen Gebiet eingewandert waren. Die Namen dieser deutschen Bauern, soweit sie urkundlich erhalten sind, zeugen für ihre Abstammung und ihre Heimat. Die Ansiedlung von Bauern vollzog sich nach einem bestimmten Brauch und Recht. Der Grundherr übergab einem Lokator, der später das Schulzentum übernahm, das zur Rodung und Ansiedlung bestimmte Land. Dieser verteilte es unter die Siedlungswilligen, indem das Ausmaß umschritten wurde, natürliche Punkte der Landschaft wie Bäume, Waldstücke, Gräben und Flüsse bildeten die Grenzpunkte. Der Landbesitz für den einzelnen Bauern schwankte je nach dem Gelände, der Durchschnitt waren 6-8 Hufen.

Die Bedingungen waren im allgemeinen so günstig, dass immer neue Siedler zuströmten. Die Thorner und die Kulmer Niederung, wegen ihrer Fruchtbarkeit berühmt, zogen in besonderem Maße Ansiedler herbei, so dass dieser an sich schon fruchtbare Landstrich zu größter landwirtschaftlicher Blüte gebracht wurde.



Hansekogge 1500 - Handelsverkehr zwischen Ost- und Nordsee

Zahlreiche Kriege, die der Orden seit dem 15. Jahrhundert führen musste, machten der regen Siedlungstätigkeit ein Ende. Nach dem Zusammenbruch des Ordens am Ende des 15. Jahrhunderts hörte die planvolle Siedlung auf.

Als das Kulmerland zur Krone Polens geschlagen wurde, ergaben sich neue Besitz- und Rechtsverhältnisse. Zwangsweise setzte eine starke Polonisierung ein, der in gleicher Weise Adel wie Bauerntum unterlagen. Namensänderungen, wie sie urkundlich bezeugt sind, lassen erkennen, dass es sich um polonisierte Deutsche handelt. So wurden z. B. aus Lasche = Laszewski, aus Haeselicht = Leski, Seigertsdorf wurde zu Segartowitz, Glauchau zu Glochowski u. v. m.

Die im 16. Jahrhundert einsetzende Gegenreformation bedingte eine weitere Veränderung unter den Deutschen. Nur die Städte Thorn und Kulm konnten wirksamen Widerstand leisten. Die Bevölkerung des Kulmerlandes war auch allgemein stark zurück gegangen. Pestjahre, 1549 beginnend, hatten die Bevölkerung stark dezimiert. Die Schwedenkriege vervollständigten das Werk der Zerstörung und Bevölkerungsminderung. Das Land war verwüstet, Höfe verlassen oder zerstört.

Für das menschenarme Kulmerland war daher die Einwanderung von Mennoniten ein bedeutsames Ereignis. Schon um die Mitte des 16. Jahrhunderts kamen vereinzelt Holländer, die um des Glaubens willen ihre Heimat verlassen hatten, in das fruchtbare Weichselgebiet, das mit seinen weiten Wiesen und Äckern, mit dem Gepräge der Flusslandschaft ihrer alten Heimat so ähnlich war. Das Dorf Schönsee bei Kulm wurde um 1600 herum der Mittelpunkt der später gegründeten Mennonitengemeinden. Die Kulmer Bischöfe schätzten die Mennoniten als tüchtige Kolonisten ein.

Im 17. und 18. Jahrhundert weist das Kulmerland noch andere geschlossene Siedlungen auf. Es sind die sogenannten "Schwabendörfer". Es war der Gedanke Friedrich d. Großen, diese tüchtigen Landwirte, hier wie auch im Warthe- und Netzegau, geschlossen anzusiedeln. Die Wiedergewinnung unter Friedrich dem Großen im Jahre 1772 war von größter Bedeutung für die Siedlungsgeschichte des Kulmerlandes. Bei der Übernahme des Landes war es das Bestreben des Königs, die wüsten Dörfer aufzubauen, neu zu besiedeln, vor allem die Bevölkerungsziffer zu heben. Der König wollte das Land mit rein deutschen Bauern wieder der deutschen Kultur und deutscher Wirtschaftsweise erschließen. Er wollte "den slawischen Leuten bessere Begriffe und Sitten beibringen, die Polen mit den Deutschen melieren, und wenn es auch anfänglich nur mit 2 oder 3 in jedem Dorfe geschehen kann."

Am sichersten und wertvollsten in dieser Hinsicht waren geschlossene Siedlungen, wie sie sich im Kulmerland entwickeln konnten, da es hier zu planmäßiger, geschlossener Ansiedlung württembergischer Bauern kam. Die "Schwabendörfer", in denen neben Bauern aus Württemberg und Baden - Durlach auch solche aus der Pfalz sich ansiedelten, waren im 18. und 19. Jahrhundert in volklicher und wirtschaftlicher Hinsicht von großer Bedeutung. Mehr als 250 schwäbische Familien wurden in den "Schwabendörfern" im Zeitraum von 1776 - 1786 angesetzt.

Geschlossene Schwabendörfer waren: Brosowo, Segartowitz, Unislaw, Kl. Czyste, Rainau, Dombrowken, Lippinken, weiter südlich Bielsk, Bildschön, Skompe, Dembin und Gr. Steinau. Diese "Schwabendörfer" behielten bis in die jüngere Vergangenheit hinein ein besonderes Gepräge.

Das groß angelegte Kolonisationswerk Friedrich des Großen war der eigentliche Abschluss der Siedlungsgeschichte des Kulmerlandes. Von den ersten Siedlern, die zur Ordenszeit aus allen deutschen Landen in diesen fruchtbaren Landstrich an den Ufern der Weichsel strömten, bis zu den zuletzt gekommenen Mennoniten und Schwaben, war das Bauerntum im Kulmerlande in stetig ansteigender Entwicklung. Diese deutschen Bauern gaben dem Weichsellande ein neues Gesicht.

Quellennachweis:

1. Kohtz, Harald: Westpreussen - Land an der unteren Weichsel.
2. Nadoly, Frau Dr.: Kulmerland (Aufsatz), 1955.

Copyright: Gerhard Templin & Christa Mühleisen

13.10.06 -a-