Westpreußische Gedichte - Heiteres und Ernstes --- Index

  


1. Truso

Herr Wulfstan kam von Norden her
gesegelt übers blaue Meer,
und durch der Dünen weiße Wand
den Weg ins seichte Haff er fand,
sah einen Fluß und seinen Lauf
und fuhr den Ilfing kühn hinauf
bis zu dem großen Drusensee
mit einer Siedlung in der Näh,
die werkte und viel Handel trieb,
wo eine Weile Gast er blieb.

Durch ihn ist uns der Ort bekannt,
der damals Truso ward genannt,
doch den, wie das nicht selten geht,
der Wind der Zeit hinweggeweht,
daß übrigblieb nicht eine Spur
als diese alte Sage nur,
die, ob auch oft wir sie gehört,
doch unsern Sinn stets neu betört,
weil, was niemals ein Herz vergißt,
sie unsres Ursprungs Heimat ist. 

(Eichen, Heinrich: Heimat in Versen,
hrsgg. von Dr. Fritz Pudor
Elbinger Hefte Nr. 32
Bremerhaven: Trusoverlag 1973)


2. Dampferfahrt nach Kahlberg

Am Schornstein die Sirene schrie.
Die Haltetaue wurden losgeworfen.
Laut rasselnd setzten die Maschinen ein.
Schon zog das Ufer sich zurück.
Zurufe noch und Taschentücherschwenken.
Das Rudervereinshaus und die Schichauwerft!
Am Fluß die Häuser ferner schon und fern,
als letzter Gruß der Turm von Nikolai.

Rasch dehnte sich das Land zu beiden Seiten,
wo Pferde auf den Weiden graste
und Kühe wiederkäuend lagen...
Ostpreußenwerk und Silo! - Plötzlich
lärmend ein Rudel nackter Jungen,
ins Wasser stürzend, schwimmend,
mit Rufen uns begrüßend...
Gelächter rings und Fröhlichkeit.
Ein Segelschiff kommt lautlos uns entgegen,
ein Motorboot folgt tuckernd unsrer Spur.
Die kleinen Häuschen hinterm Deich,
der Bollwerkskrug, das Haus mit sieben Giebeln!

Das letzte Dörfchen, danach
Schilf und Rohr, ein endlos grünes Feld,
ein Fischerkahn zwängt mühsam sich hinein.
Wassergeflügel, Netze, heisrer Möwenschrei.
Und dann viel Wasser, bis zur Ferne schwankend:
das Haff, das große, lockend funkelnd!

Wir gleiten auf ihm fort
zum dunklen Band der Nehrung,
wo in Kahlberg an Land wir gehen,
um einen Sommertag im Meer
zu baden und am Strand zu träumen...

O schöne Dampferfahrt!

(Eichen, Heinrich: Heimat in Versen,
hrsgg. von Dr. Fritz Pudor,
Elbinger Hefte Nr. 32
Bremerhaven: Trusoverlag 1973)


3. Der Untergang Elbings

Wie oft vorm Gewitter Natur sich zeigt
und, ängstlich geduckt, in Erwartung schweigt,
so war unsre Stadt, fast kulissenhaft,
die Stille unheimlich zusammengerafft,
bis jäh das Inferno sie rasend amsprang
und die Wimmernde meuchlings zu Boden zwang.

Wohl können Worte verzweifelt klagen,
doch kaum vom Geschehen, dem furchtbaren, sagen,
vom heulenden Bersten der schweren Granaten,
vom brüllenden Lärm der Sowjetsoldaten,
wie tosende Flammen zum Himmel stachen
und Dächer und Türme zu Schutt zerbrachen,
wie Mauern stürzten und Menschen starben
und Straßen, Gärten und Parks verdarben!
Der Abgrund sprang auf, und sein Feuer fraß,
was dieser und jene und ich besaß,
und wer überlebte, gehetzt entfloh
durch klirrenden Frost nach irgendwo,
wankende Greise und weinende Fraun,
Kinder mit Augen voll Furcht und Graun,
verfolgt von des Himmels blutrotem Schein,
um fortan fremd in der Fremde zu sein.

Wem Flucht nicht gelang - wer hat gezählt,
wie viele freiwillig den Tod gewählt,
um nicht geschändet, verschleppt und erschlagen
zu werden in jenen höllischen Tagen?
Die Stadt starb mit, die uns einmal gebar,
die Mutter, Geliebte und Heimat uns war;
von allem, was uns seit der Kindheit lieb,
nur stinkend schwelender Rauch noch blieb,
der Woche um Woche und Tag um Tag
träg schleppend über den Trümmern lag
und noch heute uns in den Augen brennt,
da ein Zeitalter schon uns vom Damals trennt...

(Eichen, Heinrich: Heimat in Versen,
hrsgg. von Dr. Fritz Pudor
Elbinger Hefte Nr. 32
Bremerhaven: Trusoverlag 1973)