5. Teil: Prüfungsfahrt in Russland 1925



Bald nach der Inflation nahm Komnick wieder an einer Automobilprüffahrt in Russland mit 2 LKWs teil. Fahrer waren der in der Zwischenzeit aus den USA zurückgekehrte zweite Sohn des Firmengründers, Otto Komnick und Fahrmeister Kienast.



Bild 84: Die beiden LKW vor der 2000 km langen Prüfungsfahrt in Russland

 Aus dem Fahrtbericht von Otto Komnick:

„Wir landeten mit dem Dampfer „Preußen“ am 4. August 1925 nach einer ruhigen Überfahrt in Leningrad. Die Prüfungsfahrt sollte am 10. August beginnen. Weil aber noch nicht alle Wagen erschienen waren, wurde sie um 8 Tage verschoben. In der Zwischenzeit fand eine Automobilausstellung statt, an der auch wir uns beteiligten. Unsere Wagen erregten wegen ihres guten, festen und rassigen Äußeren und der hübschen Lackierung (Aufbau elfenbeinfarbig, Räder rot) das größte Aufsehen.

Nach der Ausstellung wurden die Wagen fahrfertig gemacht und jeder mit 70 Zentnern Sand als Ballast beladen. Am 18. August 1925 wurde nach verschiedenen Ansprachen russischer Regierungsvertreter die Internationale Allrussische Automobil-Prüfungsfahrt „Leningrad-Moskau-Kursk-Moskau “ begonnen.

Es fuhren zuerst die Personenwagen, dann die leichten (1 bis 2 ½ t) und zuletzt die schweren (3 - 5 t) Wagen ab. Während der Abfahrt spielte eine Militärkapelle. Wir starteten um 10 Uhr 10 Minuten vormittags. Unterwegs wurden wir von der Bevölkerung mit Blumen und Obst förmlich überschüttet, was manchmal für die Führer nicht gerade angenehm war, weil ihnen zuweilen ein Apfel oder eine Birne an den Kopf flog. Der erste Wagen, der ausscheiden musste, war der französische 5-t-Latille. Wir kamen um 4 Uhr 10 Minuten am Ziel an, nachdem unsere Wagen ohne jeden Aufenthalt die 195 km lange Fahrstrecke zurückgelegt hatten.

Am nächsten Tag mussten  sich alle Teilnehmer um 8 Uhr früh bei ihren Wagen einfinden. Zur Fahrtvorbereitung , d.h. um die Wagen abzuschmieren, den Vergaser zu reinigen und die Motoren warm laufen zu lassen, wurden 15 Minuten Zeit gegeben. Hinter Nowgorod wurde das Gelände hügelig. Der Zustand der Fahrstraße war leidlich, nur die höckerartigen Brücken, eine Erscheinung, die man in Deutschland Gott sei Dank nicht mehr kennt, bereiteten Schwierigkeiten. Nach der Überwindung der Waldaihöhen kamen wir in das zentralrussische Industriegebiet, wo in Wischny-Wolotschek, einer Stadt am Kanalsystem, das die Wolga mit der Newa verbindet, die Fahrt an diesem Tag endete. Die 241 km lange Strecke bis Nowgorod-Wischny-Wolotschek, die längste Tagesstrecke der ganzen Fahrt, hatten unsere beiden Wagen in 7 Stunden und 10 Minuten zurückgelegt.

Nachdem die Wagen auf dem Marktplatz aufgestellt und hier mit Öl und Brennstoff gefüllt waren, verließen zuerst die Führer und Mechaniker, dann die Kontrolleure  und zum Schluss die Kommandanten den Platz, worauf der Wagenpark von den Soldaten der Roten Armee mit aufgepflanztem Seitengewehr abgesperrt und bewacht wurde.

Am 20. August war die Fahrstrecke nur 130 km lang. Wir mussten auch an diesem Tage die merkwürdige Feststellung machen, dass es täglich gerade dann anfing zu regnen, wenn wir Brennstoff und Öl füllten. Um kein Wasser in das Benzin zu bekommen, benutzten wir unsere Taschentücher als Filter; denn wenn jemand wegen Wasser in der Düse unterwegs gezwungen war, zwecks Reinigung anzuhalten, bekam er sofort eine Anzahl Strafpunkte.

Von Twer fuhren wir nach Moskau. Wir legten die 172 km lange Strecke in 5 Stunden und 2 Minuten zurück. Kurz vor den Toren Moskaus war das Tagesziel. An dem Triumpfbogen erwartete uns eine Anzahl russischer Lastwagen mit einer Musikkapelle und den Angehörigen einer Moskauer Fabrik. Für alle Fahrtteilnehmer wurde ein Massenquartier im Hause des Sowjets eingerichtet, das früher das größte Hotel (Metropol-Hotel) am Platz war und in dem sich jetzt Wohnungen für Kommunisten und zu gereiste Gäste befinden.

Der Start am nächsten Tage auf dem Roten Platz vor dem Mausoleum von Lenin fand unter großer Aufmachung statt: Ansprachen wurden gehalten, Musikkapellen spielten flotte Märsche, Militär bildete Spalier, die Polizei sperrte sämtliche Straßen, die zum Platze führten, ab und eine riesige Menschenmenge schrie „hurra“ und „hoch“. Zu den Last- und Personenwagen kamen jetzt noch Motorräder hinzu. Kurz wurde die Gegend sehr stark bergig. Es ging dauernd bergauf, bergab. Steigungen von 100-150 m Höhe waren keine Seltenheit.

Bergauf durfte man möglichst wenig schalten, da selbst dies von den Kontrolleuren sorgfältig notiert und bei der Bewertung des Wagens auf Durchzugsvermögen berücksichtigt wurde. Die Fahrt ging ohne Unterbrechung bis zu einer großen Brücke über die Oka, einem Nebenfluss der Wolga. Es ist dies eine alte Gitterbrücke; oben läuft die Eisenbahn, und unten befindet sich in der Eisenkonstruktion die Fahrstraße. Wegen ihrer Baufälligkeit durften nicht zwei Wagen auf einmal über die Brücke, auch musste über sie ganz langsam gefahren werden. In Tula wurden wir von der Bevölkerung aufs herzlichste begrüßt und mit Musik in die Stadt geleitet, wo wir wieder einmal in einer Schule Quartier bezogen.

Am nächsten Tage, einem Sonntag, starteten wir bei strömendem Regen. Die Fahrt sollte an diesem Tag bis Orel gehen, das 181 km von Tula entfernt liegt. Ungefähr 16 km vor Orel wurde eine neue Brücke über einen Fluss gebaut.

Um den Verkehr aufrecht zu erhalten, hatte man daneben eine Notbrücke errichtet. Der Weg führte eine Chausseeböschung hinunter und darauf mussten wir durch ein höchst sumpfiges Gelände. Es hätte nicht viel gefehlt, so wären die Wagen steckengeblieben. Um diese schwierige Stelle zu überwinden, hatten die meisten Wagen Schneeketten angebracht. Gleich nach der Brücke kam der Aufstieg auf das steile Ufer. Die Fahrstrecke war dermaßen schlüpfrig und ausgefahren, dass die Wagen hin- und hergeschleudert wurden und man alle Gewalt über sie verlor. In Orel fuhren wir nach dem Tanken mit der Straßenbahn in unser Hotel, das vor unserer Ankunft auf Befehl der Regierung alle Gäste hatten schnellstens räumen müssen.

Über den Zustand der Strecke Orel-Kursk, der nächsten Etappe der Prüfungsfahrt, wurde viel gesprochen, nur konnte man nichts Bestimmtes darüber erfahren. Auf jeden Fall stand es fest, dass der Weg besonders schlecht war. Der wirkliche Zustand der Fahrstraße übertraf jedoch unsere schlimmsten Befürchtungen noch um ein beträchtliches. Beim Fatesch-Fluss mussten wir eine ähnliche Stelle passieren wie am Tage zuvor, und die kleine Notbrücke über diesen Fluss, die gar nicht für solche schweren Lasten gebaut war, drohte einzustürzen.

In Kursk wurde uns nach einer einwöchigen ununterbrochenen Fahrt endlich einmal ein wohlverdienter Ruhetag gegeben. Fast alle Fahrtteilnehmer wurden in einem Hotel einquartiert, in dem leider das Bettzeug und die Bettstellen voll von Wanzen waren, infolgedessen die meisten gar nicht zum Ausruhen kamen. Uns gelang es zum Glück, bei einer deutschen Kolonistenfamilie Unterkunft zu finden, wo es natürlich kein Ungeziefer gab. Da wir die letzten Tage fast dauernd unter Regen und im Schmutz gefahren waren, bedeckte die Wagen eine dicke, feste Lehmschicht. Wir wollten den Einwohnern von Kursk zeigen, wie unsere Lastautos in Wirklichkeit aussahen. Darum wuschen wir sie.

Die Rückfahrt nach Moskau war noch schwieriger als die Fahrt von Moskau nach Kursk. Es regnete ohne aufzuhören. Durch die Windschutzscheiben konnte man nichts sehen. Trotzdem durfte man nicht langsamer fahren, weil die vorgeschriebene Zeit eingehalten werden musste. Wenn man in voller Fahrt in ein großes Loch geriet, wurde im Wagen alles durcheinander geworfen. Einer unserer Kontrolleure, der sich nicht genügend am Sitz festgehalten hatte, wurde so stark in die Höhe geschleudert, dass er mit dem Kopf gegen die Decke stieß und sich später vom Arzt verbinden lassen musste. Am Abend kamen wir vollständig durchnässt und durchfroren in Orel an. Auf dieser Fahrt hat sich so mancher Fahrer und Kontrolleur stark erkältet. Besonders schwer hatten die zu leiden, die auf amerikanischen Wagen, die ohne Führerhaus sind, saßen.

Auf der Fahrt von Orel nach Tula hatten wir besseres Wetter. Darum kamen wir an diesem Tage schneller und ungehinderter voran als am Tage zuvor.

Von Tula, unserem vorletzten Etappenpunkt, ging es am Freitag nach Moskau. Diese Strecke wurde von uns mit einer Stundengeschwindigkeit von 35 km zurückgelegt, überhaupt wurde an den letzten beiden Tagen der Prüfungsfahrt immer „sehr schnell“ gefahren. Wir erreichten das Endziel bei Moskau gegen 2 Uhr nachmittags. Hier sammelte sich die ganze Kolonne, und wir fuhren nun alle geschlossen vor dem Kreml auf, wo zur Begrüßung der Fahrtteilnehmer Ansprachen gehalten wurden.

Damit war die große russische Zuverlässigkeitsfahrt, die größte und an Bedingungen schwerste derartige Veranstaltung der Welt, abgeschlossen, und man brauchte nur noch auf die Auswertung und die Preisverteilung zu warten. An einem der folgenden Tage wurden unsere Wagen von der technischen Kommission abgenommen. Man untersuchte sie genau so sorgfältig wie zu Beginn der Fahrt. Trotz der langen und unter den ungünstigen Bedingungen zurückgelegten Strecke konnte man aber an den beiden Komnickwagen keine, auch nicht die geringste Abnützung feststellen. Nach dieser letzten Prüfung wurden dann alle von der Rennleitung freigegebenen Lastwagen der russischen Handelsgesellschaft Autopromtorg übergeben

Die Ergebnisse der Prüfungsfahrt wurden auf dem Bankett nach einer längeren Ansprache des Regierungsvertreters Jenukidse und einem Filmvortrag über die Stadt verkündet. Während von den Personenkraftwagen überhaupt keiner strafpunktfrei blieb, kamen nur ganz wenige Teilnehmer an der Lastwagenkonkurrenz mit einem Wagen strafpunktfrei durchs Ziel. Nur die beiden 3 ½ t - Komnick-Lastwagen Nr. 124 und 125, normale, eben erst fertig gestellte Serienwagen, erzielten beide völlige Strafpunktefreiheit und errangen damit den Sieg über alle aus Deutschland, Russland, Österreich, Amerika, England, Frankreich, Italien und der Tschechoslowakei erschienenen Wagen.




Bild 85: Einer der beiden siegreichen Komnicklastwagen aus Elbing im Jahre 1925 in Leningrad

Sie wurden  mit dem Ersten Preis für beste Gesamtleistung ausgezeichnet. Als äußere Anerkennung wurde uns eine kostbare silberne handgehämmerte Obstschale mit einem herrlichen Kristallaufsatz überreicht.




Bild 86: der Preis

Wir konnten die Heimreise antreten. Über Leningrad, wo wir uns von unseren beiden Wagen, die in den Besitz der Kommunalverwaltung Moskaus übergegangen waren, trennten, gelangten wir nach einer Seefahrt von drei Tagen nach Stettin.

Von hier fuhren wir nach Elbing, wo wir als Sieger der großen internationalen Fahrt freudig begrüßt wurden.“ 

Nach dem Fahrtbericht Otto Komnicks (in Krüger, Emil: Elbing. Eine Kulturkunde auf heimatlicher Grundlage. Elbing: 1930, 224 Seiten, S. 122-128) Verlag Léon Saunier’s Buchhandlg.



Bild 87 : Werbekarte der Firma Komnick - nach Bild Nr. 57 angefertigt


6. Teil oder Index

 Copyright Christa Mühleisen