Die Eroberung Elbings in Ostpreußen durch die russische Armee 1945 und das Überleben unter russischer Besatzung:

- Ein erschütternder persönlicher Erfahrungsbericht -

Vorwort von Herrn Dr. med. Max Dienel:



"Das letzte Pferd" - Kohlezeichnung von Gerhard Templin

Januar 1945: Die russische Armee überrollt Ostpreußen. Die meisten Einwohner fliehen in langen Flüchtlingstrecks. Für die, die zurückbleiben, beginnt eine Zeit der völligen Willkür und Rechtlosigkeit. Marta Saretzki, eine einfache Frau aus Elbing ist 66 Jahre alt, als die Katastrophe über sie hereinbricht. Sie bleibt wegen ihre 94-jährigen Mutter, die die Flucht nicht überlebt hätte. Ihr Tagebuch vom Januar 1945 bis zum Sommer 1946 ist ein Dokument des Schreckens. Aber es ist auch ein Zeugnis ihres erfolgreichen Überlebenskampfes mitten im Chaos und ihres tiefen christlichen Glaubens, der ihr in dieser Zeit Halt gab. Sie war aktives Mitglied in einer Baptistengemeinde in Elbing.

Marta Saretzki ist "unter der Schreckensherrschaft der Russen und Polen" (wie sie diese Zeit selbst nennt) über sich selbst hinausgewachsen: Sie hat es in dieser schwierigen Zeit geschafft, sich auch noch um Mitmenschen aufopferungsvoll zu kümmern. Ihre Tagebuchaufzeichnungen dokumentieren, wie man in völligen Ausnahmezuständen überleben kann und worauf man achten muss. Wer weiß, ob wir solche Erfahrungen nicht noch einmal aktuell benötigen, wenn erneut urplötzlich Chaos über unser Land hereinbricht.


Das Tagebuch von Marta Saretzki, geb. Thimm

Bearbeitung: Christa Mühleisen

1952 im Alter von 75 Jahren geschrieben aus der nie verlöschenden Erinnerung, nach kleinen Aufzeichnungen unter der Schreckensherrschaft 1945 bis Sommer 1946.


Mein Mütterlein und ich unter der Schreckensherrschaft der Russen und Polen.

Heute, am 10. November 1951, feiere ich ganz still für mich allein in treuem, liebenden Gedenken ihren 100. Geburtstag. Habe mir auch einen kleinen Geburtstagstisch aufgebaut mit großem, prächtig blühendem Topf, darunter Muttchens bekränztes Bild und ringsherum Briefe und Blumenkarten meiner Geschwister, die mir fast alle 7 zu dem schönen Gedenktage gratuliert haben, weil ich mein Muttchen ihre letzten 10 Lebensjahre ganz bei mir hatte und sie bis zu ihrem seligen Heimgang am 19.10.1945 allein betreuen durfte. Guten Kaffee und Apfelsinen, ihr Lieblingsgebäck, gab es nachmittags und dann ging ich hinauf zu unserem so schön terrassenförmig angelegten und wohl gepflegten, kleinen Waldfriedhof, meinem Lieblingsort, meinem Heiligtum, und habe ihr dort ihre Lieblings- und Heimatlieder gesungen und fühlte mich ihr so nahegerückt auf den Gefilden der Seligen, hörte sie mit mir singen das Psalmlied am kristallnen Meer: "Dies eine hat mich durchgebracht, Lamm Gottes, das du wardst geschlacht!". Schöner konnten meine anderen Geschwister, die zum Teil bei meiner ältesten Schwester in Steglitz-Berlin zusammengekommen waren, auch nicht feiern. Etwas will es mich ja doch oft noch bedrücken, dass ich nicht das teure Elterngrab, das meines lieben Mannes und Bruders dort in der fernen Heimat, in Elbing/Ostpr., mit Blumen der Liebe schmücken kann.

Wir schwer es mir auch wurde dort unter der schrecklichen Polenherrschaft es mit ansehen zu müssen, wie mein hoch betagtes, armes Mütterlein, dem ich nichts zur Pflege verschaffen konnte, immer mehr zusammenfiel. Sie war eigentlich nicht krank, nie bettlägerig mit ihren fast 94 Jahren und geistig noch so frisch, wie kaum jemand in ihrem Alter. Auch hatte sie sich ihre Fröhlichkeit, ihren goldenen Humor und ihr stets zufriedenes Herz bewahrt, wodurch sie mich und viele andere Verzagten in der Schreckensherrschaft immer tröstete und aufrichtete. "Haben wir das Gute empfangen in unserem Leben, sollten wir das Böse nicht auch hinnehmen?" Es gehörte wohl noch zu unserem Ausreifen.

Meine Schwester Magdalene (Lenchen), die noch bei mir zu Besuch war, als die Russenheere plötzlich unsere Heimatstadt Elbing Anfang 1945 von allen Seiten einschlossen, konnte auch nicht mehr zu ihrer Tochter nach B. zurück, und so war ich doch nicht so ganz allein in dem Haus, das schon vorher von allen Einwohnern verlassen war. Wir wurden ja auch noch aufgefordert, die Stadt zu verlassen, aber mein Muttchen bat immer: "Lasst mich doch in der Heimat sterben!" Und wie ich den schrecklichen Kanonendonner hörte immer lauter näherkommen und auch von Frauen, die mit Handschlitten und etwas Habe darauf wieder nach der Stadt zurückkamen, hörte, dass sie schon seien beschossen worden und viele Tote auf der Chaussee liegen, beschloss ich, doch zu bleiben. Wo sollte ich auch mit meinem Muttchen, das schon viele Wochen gar nicht draußen gewesen war, hin in dieser Winterkälte und tiefem Schnee?

Unser tapferes Lenchen schaffte Betten, Decken, die Luftschutzkoffer mit etwas Wäsche und Kleidern runter nach dem Keller, und ich packte meinem Korb voll Lebensmitteln, nahm Lampe, Kerze und das Heizöfchen mit, und wir richteten uns in den uns allein nun gehörenden Kellerräumen häuslich ein. Hielten auch da unsere Abendandacht und befahlen uns dem Schutz unseres allmächtigen, treuen Gottes an. Legten uns auch angekleidet zur Ruhe, nachdem schon das Licht und Heizöfchen ausgegangen waren durch den starken Beschuss. Plötzlich wachte ich durch donnerähnliches Getöse und Schütteln des ganzen Hauses auf und konnte kaum noch atmen, denn der ganze Keller war voll Schutt und Rauchdampf ganz dunkel, trotzdem das Licht brannte. Wir glaubten, das wir lebendig begraben sind. Wie sich der Schuttstaub aber allmählich durchs geöffnete Kellerfenster verzog, war hier unten noch weiter kein Schaden zu sehen, nur dass meine Weckgläser durcheinander gerollt waren und der Brikettstoß umgestürzt war.

Bei Tagesgrauen ging ich gleich hoch, um nachzusehen, was eigentlich passiert sei. Unter unserem Schlafzimmerfenster war, 1 Mtr. vom Fundament entfernt, ein mächtiger Granattrichter. Das Geschoss hatte die ganzen Fenster der Hausfront alle rausgerissen, den Hausgiebel umgerissen und alle Wohnungen auf dem Ende zerstört. In unserer Wohnung standen die verschlossenen Türen offen, zersplittert, die Fenster zum Teil herausgerissen und die Glassplitter im ganzen Zimmer verstreut. Die Küche war auch nicht mehr zu benutzen. Aber ich kochte in der Waschküche unten Kaffee, damit wir uns etwas erwärmen konnten und baten unser Muttchen, im Bett zu bleiben, denn es war über Nacht so starker Frost eingetreten (22 Grad), wie mir die Nachbarin sagte. Der Ofen im Schlafzimmer war heil geblieben und den heizte ich nun, was er nur aufnehmen konnte, so dass es in der Röhre immer kochte.

Inzwischen vernagelten Lenchen und ich das breite Fenster mit Brettern, stopften alle Kissen und Decken in die Ritzen, nur dass oben eine kleine Ecke Licht rein ließ. Trotzdem der Ofen glühte, fror uns das Wasser, das wir uns aus den anderen Wohnungen noch holen konnten, in den Eimern fest. Muttchen holten wir aber doch aus dem dunklen Keller ins erwärmte Bett nahe am Ofen, und doch wurde sie nicht warm. Da ging Lenchen Ausschau halten, ob wir vielleicht bei Bekannten oder Geschwistern aus unserer Gemeinde Obdach finden könnten. Und ich habe noch den feisten Hasen, den mir mein Sohn geschickt hatte, gebraten und ein Brot gebacken. Immer im Pelz angezogen mit großer Schürze über, anders hielt ich es nicht aus. Das Mittagessen war auch in der Röhre fertig gekocht und so fütterten wir Muttchen abwechselnd, damit sie gar nicht die Arme vornehmen brauchte unter dem Deckbett.

Schwester Lenchen brachte die freudige Nachricht, dass Tante Horn, Fr. Prediger Horn, verwitwete Sturm, geb. Kickstat, uns gerne aufnehmen will, damit sie nicht allein in ihrem großen Hause ist. Es war an dem Tage ziemlich ruhig, keine Schießerei zu hören, die Russen sollten zurückgeschlagen sein. Wir packten nun unsere Betten und die nötigsten Sachen, auch Lebensmittel zusammen und fuhren mehrmals nach der Sonnenstr. 72 mit unserem großen Handschlitten. Zuletzt auch Muttchen mit drauf in Betten gepackt.

Wie wohl fühlte sie sich gleich am warmen Ofen im hohen Lehnstuhl mit der Wärmflasche unter den Füßen und neben ihr Tante Horn desgleichen und sie klönten zusammen. Tante Horn sagte gleich dass sie sich ums Wirtschaften nun gar nicht mehr kümmern wird und überließ es mir alles, ich sollte nur immer etwas Gutes auf den Tisch bringen. Das war mir vorläufig auch durchaus nicht schwer, da ich ja einen feinen großen Vorrat noch im Keller hatte. Eingewecktes Fleisch, Gemüse, Fruchtsaft, Marmelade, Honig, Eier, 2 große Schmalztöpfe, Gurken, usw. alles noch von unserer 500 Morgen großen Wirtschaft bei Pr. Holland, auch einen großen geräucherten Schinken, Wurst und Speck; also auf längere Zeit guten Vorrat, von dem wir nun immer an ruhigen Tagen im Schlitten rüber holten. Kartoffeln und Gemüse war auch dort noch in allen Kellern reichlich vorhanden.

Die Tage blieben aber nicht ruhig, im Gegenteil wurde die Schießerei aus der Luft und den Kanonen immer stärker, manche Tage fast pausenlos, so dass wir erst gegen Abend von einer Pumpe in der Nachbarschaft das nötige Wasser holen konnten. Meistens behalfen wir uns mit Schneewasser. Es waren auch schon mehrere Häuser in unserer Straße durch Bomben zerstört und verbrannt, auch schlugen öfter in unserem Zimmer die Schrapnells durch die Jalousien, die wir immer geschlossen hielten, in die Bilder an den Wänden. Die oberen Etagen waren auch schon ganz zerstört und er Hausgiebel heruntergesaust, wobei auch unser Zimmer wieder ganz voll Schuttstaub war. Tante Horn wohnte in der Mitte geschützter und bekam auch Licht durch die Veranda, die auch fast kein Glas mehr hatte. Mein Aufenthalt war meistens in der Küche, weil ich für 15 - 20 Menschen, die in unseren Kellerräumen Zuflucht gesucht hatten, mitkochen musste.

Mehrere Frauen holten in ruhigen Stunden immer Lebensmittel ran, die in verlassenen Häusern, Fleischer- und Bäckereien und Kolonialwarenläden noch reichlich zu finden waren. Sonst hielten sich alle in dem Luftschutzkeller Tag und Nacht auf, nur mein Muttchen und ich blieben immer oben. Wie das Feuer immer näher kam und an der Straße gegenüber auch schon mehrere Häuser brannten, ermahnte uns Tante Horn, auch runter zu kommen, damit wir nicht lebendig begraben würden. Aber ich hatte ja meine Arbeit mit kochen und backen und mein Muttchen saß bei mir und betete immer, half mir auch, was sie noch konnte.

Doch in der 3. Belagerungswoche wurde es ganz grauenhaft. Die Stalinorgel ging fast pausenlos, immer 100 Schüsse hintereinander, dass man unwillkürlich sich die Finger in die Ohren steckte und die Hände über dem Kopf hielt, weil alles zu platzen drohte. Die ganze Innenstadt war nur noch ein Feuermeer und immer wieder stürzten mehr Häuser in unserer Nähe ein durch den Bombenhagel aus der Luft. Mein Muttchen war ganz ruhig und betete weiter. Ich hatte gerade die Kartoffeln für das Mittagessen aufgestellt, griff in den Salztopf auf dem Herd, da wurde ich durch starken Luftdruck zur Seite geschleudert und das Geschoss hatte den Topf zertrümmert und die Rückwand des Herdes zum Teil abgerissen. Ich bekam aber das Mittagessen noch gut fertig gekocht, auch einen großen Kochtopf voll Kaffee. Der wundervollen Kalbskeule im Bratofen war auch nichts passiert.

Das war aber nun mein letztes Essen, das ich gekocht hatte, denn gleich nachdem es runter gebracht war, sausten alle Küchenveranden von 4 Stockwerken herunter und meine Küche war ganz finster von Mörtel und Staub, so dass ich eine Weile nicht hinein konnte. Mein großer Striezel war aber inzwischen schön gebräunt und gar geworden im Bratofen, und ich packte nun einen ordentlichen Futterkorb und ging mit meinem Muttchen warm angezogen auch nach dem Luftschutzkeller, wo es schon durch mehrere herunter getragene Sessel und Ruhebetten ganz gemütlich aussah, auch nicht zu kalt war, weil 2 eiserne Öfchen wohlige Wärme verbreiteten. Mein Muttchen war bald eingeschlafen und ich habe auch nach langer Zeit eine Weile fest geschlafen, weil das Getöse doch unten lange nicht so stark war.

Da kamen auf einmal 20 deutsche Soldaten in unseren Keller, sich etwas zu erwärmen und ich konnte ihnen zu ihrem trockenen Brot noch heißen Kaffee geben. Sie sagten uns, die ganze Stadt wimmle schon voll Russen und dass unser nächster Besuch wohl Russen sein werden. Inzwischen war es Abend geworden und wir haben uns dann noch alle einmal satt gegessen.

So gegen 10 Uhr drangen die ersten Russen in unseren Keller mit dem Ruf "Hände hoch!" und untersuchten uns alle nach Waffen, fragten, ob wir deutsche Soldaten versteckt haben und nahmen uns Uhren und andere Wertsachen ab. Wir waren ja fast nur Frauen und Kinder im Keller, nur ein jüngerer Kriegsinvalide mit einem Arm, den sie schlugen, weil er sich nicht schnell genug ausziehen konnte zur Untersuchung und dann noch 2 alte Männer. Schnell drangen noch mehr Russen ein und bedeuteten uns, dass wir den Keller verlassen sollten und ins freie Feld gehen, denn die ganze Stadt würde gleich brennen. Sie schleppten uns immer 2 und 2 durch die Durchlässe durch viele Häuser bis auf einen schon ausgebrannten freien Platz, wo wir uns zu Vieren aufstellen mussten. Ich wich nicht von meines Mütterleins Seite und Schwester Lenchen und Tante Horn fanden sich auch zu uns durch das Gewühl der an 1000 zählenden Obdachlosen. Wir dankten Gott für seine wunderbare Führung und warteten der Dinge, die nun kommen sollten.

Der russische Lautsprecher verkündete in deutscher Sprache: 1 Stunde Gefechtspause, in der sich alle Einwohner (wohl 30 000 - 100 tausend hatte früher die Stadt) - auf den angegebenen Plätzen sammeln sollten zum Abmarsch in die umliegenden Dörfer und Güteranwesen, weil der Stadtkommandant immer noch die Übergabe verweigere, würden nun die Straßenkämpfe einsetzen. Daher seien die Bewohner aus der Stadt zu führen. Es war wohl um Mitternacht, als wir unter Bewachung der Russen mit aufgepflanztem Bajonett die Hindenburgstraße hinaufgeführt wurden bis zu den Friedhöfen vor der Stadt. Da ließen sie uns stehen und sagten: "Nun seid ihr in Russland!"

Es war Tauwetter eingetreten und wir konnten in dem matschigen Schnee und in den von den Geschützen tief ausgefahrenen Gleisen kaum vorwärts kommen. Mein armes Mütterchen fiel öfter hin und da sie nur in warmen Hausschuhen war, von denen einer bei dem Ziehen durch die Durchlässe noch verlorengegangen war, waren ihre Füße patschnass. Lenchen und ich führten sie und sanken auch in den tiefen Gleisen öfter mit um. Hinter uns die an allen Enden brennende Stadt, ein riesiges Feuermeer und der schreckliche Geschützdonner. Wir kamen uns vor wie Loth, der aus Sodom flüchtete, sahen aber kein Zoar vor uns, sondern nur schwarze, dunkle Nacht und verfehlten so auch unser Ziel, nach dem wir gewiesen waren.

Endlich beim Morgengrauen, erblickte ich, nachdem wir 4 Stunden gewandert waren, den hohen Schornstein der Ziegelei Dambitzen, die doch eigentlich nur 3 km von der Stadt entfernt liegt. Mein Muttchen brach am Wege zusammen, und wir betteten sie auf einen am Wege liegenden großen Schlitten ins Stroh und rieben ihre eisigen Füße. Da sah ich auch, dass ihre Lippen ganz blau waren und die Augen tief eingefallen. Ich gab ihr auf etwas Schnee Herztropfen, die ich in der Handtasche hatte. Das sah ein russischer Offizier, der seinem Burschen die große Milchkanne absetzen hieß und uns in seinem Trinkbecher etwas für Muttchen hinhielt. Auch deutete er uns, dass wir in den großen Ringofen der Ziegelei gehen sollten. Nachdem Muttchen sich etwas erholt hatte, führten wir sie dort hin, wo ich sie vor einer noch eben abgebrannten Kammer, der noch wohlige Wärme entströmte, auf einen Strohsack bettete, den der Offizier durch einen Soldaten schickte. Also hatte Gott uns doch nicht vergessen.

Nach einer Weile brachte derselbe Soldat in einem Kochgeschirr noch heißen Kaffee für unser Muttchen, den ich ihr mit etwas Weihnachtsgebäck, das ich in der Handtasche hatte, immer schluckweise gab. Der Soldat stand und sah zu. Ich bat ihn, uns doch etwas Brot zu bringen, da wir auch Hunger hatten. Er machte ein gutmütiges Gesicht und winkte mir "Frau komm".

Oh hätte ich seine Absicht geahnt! Tante Horn hörte mein Bitten und Weinen, wie er mich immer weiter vor sich her schob, bekam es mit der Angst und ging allein fort. Bald danach wurde auch meine um 10 Jahre jüngere Schwester Lenchen abgeholt. Wir setzten uns nachher jeder zu einer Seite auf Muttchens Lager und erwärmten sie durch unsere Körper, sodass sie bald in einen ruhigen Schlaf fiel. Wir konnten uns nun still ausweinen, fühlten uns so entwürdigt, entrechtet, ich fast 70 Jahre alt und der Magen meldete sich auch. Mein schöner Futterkorb war ja im Luftschutzkeller stehen geblieben.

Ich holte in einem Eimer, den ich fand, sauberen Schnee vom Feld und wir steckten uns ab und zu etwas in den Mund. Muttchen schlief lange und ruhig an der warmen Ofenwand, und ich hatte auf einem Rundgang durch den Ringofen Matratzen und Betten entdeckt, die ich zusammenschleppte, zum Lager für uns 4 Witwen. Auch einen wackligen, kleinen Tisch fand ich und Sitzgelegenheiten baute ich von 4-zoller Röhren mit aufgelegten Ziegelbrettern. War ich doch 19 Jahre Ziegelmeister-Frau gewesen. Lenchen hatte schon einen Eimer voll klares Wasser aufgetaut. Am späten Nachmittag kam auch Tante Horn wieder und oh Wunder, oh Wonne, sie brachte 2 Brote, 1 Pfund Margarine und eine große Kerze mit. Alles hatte ihr ein junger Russe geschenkt und sie wieder nach dem Ringofen gewiesen, damit sie nicht auf freiem Felde friert. Zündhölzer hatten wir, brauchten also nicht mehr im Dunkeln zu tappen und von dem Brot brachen wir uns immer Stücke ab und klebten uns Stückchen Margarine rauf (doch nicht ehe wir uns die Hände ordentlich mit Schnee abgerieben und Gott für diese Labung gedankt hatten).

Tante Horn wehrte uns mit essen aufzuhören, da das Brot wohl lange reichen muss, doch ich sagte, wir sind nun Gottes Sperlinge und er vergisst uns nicht. Dann haben wir uns den 90. Psalm aufgesagt und in Gottes Schutz befohlen und geschlafen so ruhig und lange geschlafen unter dem Schutze des allmächtigen Vaters ganz ungestört, noch die vorige durchwanderte Nacht nachgeholt. Oh, es ist doch etwas Großes, Gottes Kind zu sein! Das Waschen mit frisch gefallenem Schnee erfrischte uns wunderbar; auch unser Muttchen verlangte danach, war Gott lob wieder frisch und fröhlich und dankbar wie immer. Wir rechneten nach, dass es Sonntag sei, hielten unsere Andacht nach unserem kalten Frühstück und da es ganz still war, kein Schuss mehr fiel, ging ich mal sehen, wie es draußen aussieht.

Die goldene Sonne funkelte auf dem frisch gefallenen Schnee, der all die grauenhaften Spuren des schrecklichen Mordens und er Verwüstung so rein, so unschuldsvoll zudeckte. Nur einige zerschossene Wagen und umgelegte Geschütze stachen aus dem Schnee. Mich zog ein ganz in der Nähe liegender umgekippter Flüchtlingsschlitten an, den ich auch halb aufrichten konnte und da allerlei Schätze fand: einen Koffer mit Weckgläsern, darin Schweinebraten, Wurst, Kochklopse, auch eingeweckte Kirschen. Alle Gläser waren ja etwas kaputt, trotzdem sie in Handtücher, die wir auch gut gebrauchen konnten, eingewickelt waren. Auch ein großes Landbrot fand ich noch. Nun hatten wir ein richtiges Sonntagsessen, wenn auch kalt und mit großer Vorsicht zu essen, wegen der vielen Glassplitter. Wir dankten unserem reichen Vater im Himmel und waren froh und guter Hoffnung.

Lenchen wagte sich auch etwas raus und kam bald mit einem guten Messer, Gabel und Teelöffel zurück, die sie gefunden hatte. Wir getrauten uns nicht weit von unserer Höhle zu entfernen, weil die ganze Ziegelei voll russischer Bagage war, aber ich fand doch noch ein paar alte Schuhe für Muttchen, die wohl viel zu groß, aber doch mit Bindfaden zu befestigen gingen. Tante Horn schmerzten die Füße sehr und sie getraute sich doch nicht die Schuhe auszuziehen, weil wir immer in Angst waren, von den Russen weggejagt zu werden. Gegen Abend merkten wir eine größere Gefahr. Die russische Bagage rückte ab nach der Stadt zu. Es wurde unheimlich still, nur einige Posten patrouillierten herum. Nachdem wir unser Abendbrot mit etwas Schneewasser eingenommen, setzten wir uns auf unser Lager, sagten mehrere Trostpsalmen und fingen leise an zu singen.

Da trat ein Posten in unsere Höhle, störte uns aber nicht, sondern nahm die Mütze ab und hörte still zu. Wir sangen noch eins ums andere der herrlichen Trostlieder und waren gerade bei "Harre meine Seele" angelangt, als der Posten wiederkam mit einem russischen Offizier, der uns in gutem Deutsch fragte, wie alt wir sind und ob wir aus der Stadt geflüchtet sind. Ich antwortete ihm nun bei Muttchen angefangen mit 93 Jahren, ich 68, Tante Horn 74 Jahre und Lenchen schwindelte sich noch 2 Jahre an, also 60 Jahre. Da sagte er ganz freundlich, ihr seid schon zu alt zum Arbeiten, könnt morgen ruhig nach Hause gehen, die Stadt ist fest in unserer Hand, es wird nicht mehr geschossen und nun singt ruhig weiter. Gute Nacht! Ganz glücklich schliefen wir ein.

Ich war schon recht früh im Halbdunkeln draußen und sah einige Frauen in der nahen Küche, wo die Russen noch gestern geschmort hatten, Kaffe kochen. Oh Wonne, sie gaben mir auch etwas ab und wir machten uns dann gleich fertig zum Abmarsch. Ich schnitt aber noch schnell ein Stück, so 3 - 4 Pfund von dem großen Schweineschinken mit unserem großen Messer ab, den ich vorne im Ofen auf einem Brett entdeckt hatte. Ja für so etwas hatte ich immer offene Augen, war ich doch die Proviantmeisterin. Lenchen band alles in die gebundenen Handtücher ein.

Wir fassten Muttchen jeder unter einen Arm und wanderten der Heimatstadt zu. Ob wir wohl noch ein Heim finden werden? Bei Tag und auf dem etwas gefrorenen Weg ging es doch viel besser, als vor 3 Tagen in der grausigen Nacht. Es war der 8. Februar heute, meines lieben Mannes Sterbetag, schon 3 Jahre her. Eine Weile ging es ganz gut, meist immer bergab. Wir trafen andere Flüchtlinge, die zur Stadt zurückkehrten und Russen treibende Viehherden, die unterwegs immer junge Frauen und Mädchen zum Treiben zwangen. Uns ließ man ungehindert. Muttchen drohte aber immer wieder zusammenzubrechen und ich musste sie auf einem Steinhaufen etwas ausruhen lassen, ebenso Tante Horn mit ihren wunden Füßen. Wir konnten aber die Stadt, wenigstens rauchende Trümmer schon sehen und das gab Mut. Ich summte: "Solang mein Jesus lebt" und nach dem Takt ging es merklich leichter.



Der Alte Markt mit dem am 23. Januar 1945 abgeschossenen Panzer der Roten Armee vor dem Feinkostgeschäft Penner.

Bald erreichten wir die Stadt und sahen, wie russische Soldaten immer aus den Reihen zurückkehrender Flüchtlinge jüngere Frauen und Mädchen raus riefen zum Schuttaufräumen der Straßen, die sie dann mit Kolbenstößen von hinten antrieben. - Oh unsere ganze, reiche, schöne Stadt Elbing glich einem Gräuel der Verwüstung, einem mächtigen Trümmer- und Leichenfeld, denn zwischen den Trümmern sah man viele Leichen, besonders von Zivil durch aufgesetzte hohe Zylinderhüte, grellfarbige Tücher und Schals, helle Schirme in die erstarrten Hände gedrückt, richtig verschandelt. Tante Horn und Schwester Lenchen gingen voran nach dem nahen Stadtfeld, um ein weniger beschädigtes Haus für uns als Heimstätte zu finden.

Ich bereitete auf einer Türschwelle mit Kleidern und Decken, die haufenweise auf der Straße lagen, für Muttchen einen bequemen Sitzplatz, wo sie den Rücken gegen die Tür gelehnt mit geschlossenen Augen und blauen Lippen wie tot lag. Ein Offizier betrachtete uns eine Weile, zog dann aus seiner Brusttasche ein Fläschchen Cognac und reichte es mir. Ein großer Schluck belebte mein Muttchen wieder und nun kam auch schon Lenchen ganz freudig zurück. Mit vereinten Kräften brachten wir Muttchen in das nur wenig beschädigte Haus unserer Familie Wittkowski, umgeben von einem schönen Garten, die nach Pommern geflüchtet waren, was uns ein auf dem Buffet liegender Zettel mit angegebener Adresse sagte. Lenchen räumte den kniehoch mit Scherben und Papier bedeckten Fußboden auf und heizte gleich mit allem Brennbaren den Ofen. Ich machte mich gleich ans Aufräumen der Küche, die ebenso aussah wie das in der Mitte durch die Veranda geschützte Esszimmer, das aber sogar heile Fenster hatte. Ich fand noch einige Eimer voll Wasser vor, von dem ich zuerst für Muttchen und Tante Horn heiße Wärmflaschen machte und dann beide in den Betten unterbrachte, damit sie sich erwärmten und uns nicht im Wege waren.

Auf dem Herd stand eine Schüssel voll wundervoll aufgeweichter weißer Erbsen, die ich dann gleich mit einem Stück fetten Schinkenfleisch zum Kochen brachte. Oh gab das ein herrliches, warmes Mittagessen, das erste nach 3 Tagen und im Herrenzimmer stand neben leeren Weingläsern noch ein großes angebrochenes Glas eingemachter Birnen zum herrlichen Nachtisch. Das war ein Labsal nach der Trübsal. Leider hatten wir in unserem Eifer alle Vorsicht vergessen, die nach den Fasttagen wohl geboten gewesen wäre, denn wir drängten uns bald alle um das kleine Häuschen auf dem Hof. Nach dem guten Kaffee, den ich brühte, wurden wir aber guten Mutes und bekamen bis zum Dunkelwerden noch das große Esszimmer, das wir uns auf einem Ende mit herein geschobenen Ruhebetten und Bettgestellen auch als Schlafzimmer einrichteten, noch ganz wohnlich hergestellt.

In den anderen Zimmern waren fast alle Fenster demoliert. Die in der Küche vernagelte ich mit Brettern bis auf die oberen Scheiben, die noch heil waren und das Feuer im Herd und Ofen ließen wir gar nicht ausgehen, denn Brennung war genug vorhanden in den Ställen. Auf dem Tisch im Herrenzimmer lag noch die große Prachtbibel aufgeschlagen und im Bücherschrank fanden wir auch noch mehrere Bibeln und Andachtsbücher. Da haben wir dann tiefbewegt unsere Abendandacht gehalten und unserem treuen Gott gedankt, der uns noch solch gutes Obdach hat finden lassen. Eben wollten wir uns zur Ruhe legen, als es gegen die Haustür klopfte und zurückkehrende Flüchtlinge, durch unseren schwachen Lichtschein angelockt, bei uns Unterkunft zur Nacht begehrten. Ich ließ sie in die warme Küche mit ihren drei Kindern, und sie schleppten sich Sessel aus dem Herrenzimmer und richteten sich zur Nacht ein. Sie kochten und polterten noch die halbe Nacht. Am Morgen zogen sie ab, um sich in anderen verlassenen Häusern eine Wohnung einzurichten. .

Im Giebel unseres jetzigen Hauses wohnte oben noch eine Witwe, die uns gleich morgens begrüßte, Tante Horn gut kannte, da sie ihre Reinemachefrau gewesen und sich nun freute, dass sie nicht mehr allein im Hause wohnte. Mit ihr ging ich dann auch auf die Straße, wo vor den Kolonialwaren- und anderen Geschäften recht viel Lebensmittelwaren verstreut, halb ausgeschüttet im Schnee lagen. Wir packten in unseren Korb, was noch zu gebrauchen war. Am nötigsten fehlte ja Mehl zum Brotbacken. Aber da entdeckte ich auch in einer zerschossenen Bäckerei die Brottröge noch mit Mehl gefüllt, auch einen ziemlichen Sack Weizenmehl und Büchsen mit Zucker. Ich schnell zurück, den kleinen Handwagen aus dem Stall geholt und mein ängstliches Schwesterlein zum Mitkommen überredet. Wir hatten mit viel Mühe, aber ganz unbehelligt, alles aufgeladen, bogen mit unserem Wagen um die nächste Straßenecke, wo wir mehrere Frauen mit Handschlitten sahen, die die vor dem Gasthaus liegenden Leichen von 10 - 12 Hitlerjungen umdrehten, um ihre jungen Söhne sich auszusuchen und zu beerdigen. Mein Lenchen wollte schon schwach werden, aber ich sagte: "Nun komm schnell, dass wir nach Hause kommen, es ist doch Krieg."



Die Nordfassade der Hl. Leichnamkirche in der Horst-Wessel-Straße (früher Hl. Leichnamstraße), links die Ruine des Gemeindehauses

Niemals bekam ich sie mehr dazu, mit mir auf die Straße zu gehen. So zog ich öfter noch mit Frau Muhs, unserer Mitbewohnerin los, auch nach einer zerschossenen Mühle, vor der das Getreide, Roggen und Weizen haufenweise im Schnee lag, wo wir es mit Schaufeln in unsere Säcke taten und zuhause siebten, um Schmutz und Glassplitter zu entfernen, dann auf dem Ofen trockneten und mit der Kaffeemühle mahlten und wunderschönes Brot backten, das wir durch Beimischung von geriebenen, gekochten Kartoffeln, von denen wir in unserem Keller einen großen Vorrat fanden, noch streckten. Auch fand ich in unserem Garten unterm Schnee noch mehrere, ganz frisch erhaltene Schweineschinken und andere Fleischstücke, die wohl von Geschossen, die das nicht weit entfernte Schlachthaus getroffen, bis hierher geschleudert waren. Also hatten wir vorläufig einen schönen Vorrat.

Nun kam aber auch der erste Russenbesuch. 3 Fliegeroffiziere, die versprengt waren und mich recht höflich um warmes Essen baten, das ich ihnen dann schnell bereitete. Bratkartoffeln mit Speck und Schinken und heißem Kaffee. Sie dankten sehr und haben uns weiter gar nicht belästigt, sagten nur, dass die Stadt jetzt richtige Besatzung bekommt und wir sollen unsere Tür bessern versichern. Ja, aber wie? Das Schloss war aus der Tür rausgesägt. Wir nagelten ein Brett auf und eine starke Eisenkrampe mit starkem Haken ans Türgerüst, dass wir sie immer fest zuhaken konnten. Wir tarnten auch den Kellereingang, der sich in der Veranda befand mit Kinderwagen, Kisten mit zerbrochenem Geschirr, Packkartons mit allerlei Kleidungsstücken und Weihnachtsbaumschmuck, alles was so umher lag. Ja, aber die vielen zerbrochenen Fenster? Na, in den ersten Tagen ging es noch. Tante Horn bat mich, doch einmal nach ihrem Haus zu sehen und etwas von Kleidung und besonders warme bequeme Schuhe mitzubringen, da ihre Füße wund und stark geschwollen waren.

Ich fand das Haus noch leer, nur im Luftschutzkeller war eine von den beiden alten kranken Damen, die sich versteckt gehalten, als Leiche und die andere hatte unseren Proviantkorb leer gemacht und kochte sich etwas in der Küche. Unsere Luftschutzkoffer waren auf einem Haufen Kohlen ausgeschüttet, aber ich fand doch noch fast alles von Wäsche und Kleidungsstücken, auch zu meiner großen Freude meines Mannes Taschentestament und sein Bild darin. Auch Tante Horns gewünschte Sachen noch und Salbe für ihre Füße. Andern Tags ging sie noch selbst und sorgte für die Beerdigung ihrer alten Einwohnerin, ahnte wohl kaum, dass dies ihr letzter Gang war. Ihre wunden Füße wurden trotz täglichen Badens und Bepflasterns nicht besser, im Gegenteil zog sich die Geschwulst immer höher hinauf, sodass die ganzen Beine unförmig wurden. Die Druckstellen hinterließen Löcher und da sagte sie, das ist Wasser, das wird mein Tod sein. Ich kannte so etwas nicht. Mein Muttchen war wieder recht frisch geworden für ihr hohes Alter und geistig auch noch recht rege, wollte immer etwas zu tun haben.



Ausschnitt aus dem Elbinger Stadtplan von 1945. Unten ist die Sonnenstraße zu sehen, im dem das Wohnhaus von Prediger Horn stand und am oberen Bildrand die Baptistenkirche in der Horst-Wessel-Straße.

Am Sonntag gingen Lenchen und ich mal sehen, wie es unserer Kapelle in der Horst-Wessel-Straße ergangen ist. Sie war auch wenig zerstört, nur der Giebel mit Jugendsaal und Predigerwohnung war durch ein großes Geschoss beschädigt und auch die Orgel etwas. Aber alle Bücher lagen beschmutzt zerstreut umher und in der Gemeindeküche war alles Geschirr schmutzig und viel zerbrochen. Auf dem Rückweg standen wir vor unserem völlig ausgebrannten Haus. Da kamen mir doch die Tränen, wie ich von all den wertvollen Andenken nichts mehr sah, als Trümmer und Asche. Doch es stand ja kaum noch ein Haus in der Straße. Der Keller schien noch unversehrt. Doch der Nachbar warnte mich runterzugehen, da unten alles schwelte und die Decke einzustürzen drohte. Also lass fahren dahin, das ist der Krieg. Muttchen und Tante Horn hatten sich schon gesorgt, weil wir so lange fort blieben, aber wir hatten auf dem Wege noch Geschwister aus unserer Gemeinde getroffen und uns verabredet, nächsten Sonntag bei uns zum gemeinsamen Gottesdienst zusammen zu kommen, um uns gegenseitig zu stärken. Muttchen und Tante Horn hatten, während sie ihre Morgenandacht gehalten, auch Besuch bekommen von 2 jungen Russen, die sie aber weiter nicht belästigt hatten. Doch es kam bald anders.

Eines Nachts drangen 3 Russen durch die Verandafenster ein, leuchteten uns mit ihren Stinkfackeln ins Gesicht und unter die Betten, um, wie sie vorgaben, deutsche Männer zu suchen. Gingen dann aber ohne uns zu belästigen nach der Küche, wo ich sie eine ganze Weile herumhantieren hörte. Nachdem alles still geworden und ich nachsehen ging, sah ich die Schränke offen stehen, der große Steintopf mit Zuckervorrat war leer, das Gänsefett fort und der schöne Bienenhonig und 2 Pack Zündhölzer, dazu der Tisch voll schmutziges Geschirr. Von da an habe ich nichts Essbares mehr in der Küche gelassen. Nun verging kaum noch ein Tag oder eine Nacht, wo wir nicht Russenbesuch bekamen.

Die Haustür war fest, aber sie brachen mit dem Seitengewehr die vernagelten Fenster immer wieder auf und standen plötzlich vor uns, packten Kleider und Wäsche in Bündel zusammen, suchten auch nach, ob wir in den Betten etwas versteckt hatten. Gaben immer vor, deutsche Männer zu suchen, die wir versteckt halten. Manchmal konnten wir uns durch laute Hilferufe retten, aber meistens kehrten sich die auf der Straße gehenden Soldaten auch nicht daran. Offiziere mit ordenbesteckter Brust kamen mit ihren Burschen, suchten zuerst alles nach Silbersachen und Kristall nach und wenn auch jeder Löffel einzeln versteckt war in und auf den Öfen, sie fanden alles.

Unsere arme Tante Horn konnte kaum noch etwas gehen, die Geschwulst zog sich immer höher, sodass sie einen ganz unförmigen Umfang bekam, aber sie diente als rechte Priesterin noch immer bei unseren sonntäglichen, wie Morgen- und Abendandachten. Ein gläubiges älteres Fräulein war noch zu uns in eine obere Wohnung gezogen. Auch aus der Nachbarschaft Frau Frost mit ihrer alten Mutter, welche die Russen, oder vielmehr jetzt noch Polen aus ihrem schönen Eigenheim verwiesen hatten. Nun war unser Haus gut besetzt, wenigstens die bewohnbaren Räume. Es war inzwischen auch Frühling geworden und unsere Hoffnung, dann schon erlöst zu sein von der Schreckensherrschaft, hatte sich nicht erfüllt. Wo werden unsere Lieben sein? fragten wir oft bange. Ach wie schwer ist es doch, ganz ohne Nachrichte, immer in Ungewissheit zu sein.

Die Russen und Polen sorgten nicht im geringsten für uns, sondern beraubten uns weiter Tag und Nacht. Die Polen waren darin noch viel schlimmer und hinterlistiger, besonders auch die zerlumpten, schmutzigen Weiber. Eines Sonntags, gleich nach Mittag, gehe ich Frau Heise besuchen, um sie zu trösten über die Verschleppung ihres Mannes, von dem sie noch immer nichts weiß. Es ist ganz unheimlich still in der Gr. Wunderbergstraße. Ich begegne keinem Menschen, erreiche auch so die etwas versteckt liegende Wohnung am Berg und wundere mich, dass alle Türen in den Stuben offenstehen.

Wie ich ganz still wieder zurück gehen will, vertritt plötzlich ein Russe mit aufgepflanztem Bajonett mir den Weg und sagt: "Mitkommen!" Ich bat ihn, lass mich nach Hause gehen zur kranken Mutter. Er stieß mich mit dem Gewehrkolben vor sich her zur Straßenecke, wo er noch mehrere Frauen mit kleinen Kindern, auch einige ganz alte Männer mit mir auf einen großen, von lauter Ruinen umgebenen Hof trieb, wo schon recht viele Frauen, alte und auch junge mit ganz kleinen Säuglingen in Kinderwagen, auch Greise und Kriegsinvaliden mit Krücken oder einem Arm, auch Blinde standen und in dem scharfen Nordostwind zitterten und weinten. Wir neu zugekommenen wurden erst noch von 2 Kosaken auf Wertsachen untersucht. Ich bat, wieder nach Hause gehen zu dürfen zu meinen Kranken, wurde aber weiter auf den Hof gestoßen und hörte von den anderen Frauen, dass viele schon von morgens an hier unter Bewachung stehen und lange hungern und frieren mit den kleinen Kindern. Die Posten sagten uns, wir müssen warten bis Offizier kommt. Endlich nach 3 Stunden gegen 6 Uhr abends, kamen 3 Kosakenoffiziere auf den Hof geritten, grüßten höhnisch grinsend mit "Heil Gittler", was aber niemand beachtete. Dann hießen sie uns auf der von allen Enden verbarrikadierten Straße zu Vieren aufstellen, links die alten Leute und Krüppel, rechts die jungen Frauen und großen Jungen. Die Offiziere ritten entlang und sortierten. Dann wurden die rechts stehenden unter starker Bewachung abgeführt und zu uns sagten sie: "Ihr könnt nach Hause gehen".

Ich wurde meine drei schreienden Kinder schnell los, weil ihre richtige Oma sich ihrer annahm, aber auf meinem eiligen Heimweg hörte ich noch lange das Wehklagen und Schreien der Mütter und Kinder. Meine Lieben zuhause fand ich in großer Besorgnis um mein langes Fortbleiben und sie wollten mich nicht mehr allein gehen lassen. Zu unserem Friedhof kam anderntags Lenchen mit und wir reinigten und bepflanzten unsere Gräber mit Blumenstauden, freuten uns, dass die Grabsteine gar nicht beschädigt waren wie an vielen anderen Gräbern. Die Leichenhalle war ganz von einschlagenden Geschossen verwüstet. Da habe ich Gott wirklich von ganzem Herzen gedankt, dass er meinen teuren Mann vor dieser Schreckenszeit noch abgerufen hat. Wir sind ja nun immer Tag und Nacht in Ängsten unter dieser Schreckensherrschaft und Willkür der Feinde. Jeden Abend legen wir uns ganz in Gottes Erbarmen, flehen um seinen allmächtigen Schutz und doch vergeht kaum eine Nacht, ein Tag, wo wir nicht belästigt und gequält werden, auch öfter noch vergewaltigt. Aber wir ringen uns immer noch durch zu dem trotzigen "Dennoch" und wollen der Verzagtheit nicht Raum geben. Unser Vater weiß und sieht alles, er weiß auch, wie lange noch. Er schickt uns dann auch wieder einmal eine Stärkung.

So besuchten uns vorigen Sonntag Herr und Frau  Rehrmann, die nach Danzig geflüchtet und nun zurückgekehrt waren. Auch ganz arm geworden, nur mit den Kleidern, die sie auf dem Leibe trugen, aber doch reich in Gott. Herr Rehrmann hielt uns eine gesegnete Andacht und wir beteten alle zusammen, ohne gestört zu werden. Oh, wie stärkt doch die Gemeinschaft.

Tante Horn konnte nur noch wenig auf sein, ihr Körper wurde immer schwerer und die Luft knapper. An schönen Tagen führte ich sie noch etwas in dem Garten umher, in dem jetzt alles so schön schon blühte. Duftende Veilchen in großer Fülle, Krokos, Vergissmeinnicht, schöne Ziersträucher und der Flieder hatte so dicke Knospen. Lenchen hielt den Garten schön sauber und unser liebes Muttchen sonnte sich so gern an der geschützten Hausecke. Oma Tolk lag krank und ihre Tochter, Frau Frost, fühlte sich auch elend.

Ein paar Polenweiber wollten Betten kaufen, oder vielmehr stehlen, denn sie gaben nur wenige Zlotys, aber noch einige Eier und Speck, sagten, sie brauchen nur das Inlett zur Maifeier. Na, das war erst ein Aufzug. Überall mit rotem Bettinlett bezogene Säulen, die große bekränzte Schilder trugen, hatten sie aufgestellt. Besonders vor der russischen Kommandantur einen ganzen Wald auch solch lumpiger Fahnen. Mit schrecklichem Gejohle zogen betrunkene Russen und Polen durch die Straßen, die voll Schutt, Federn und Papierfetzen lagen, drei Tage lang. Nachts hörten wir öfter wüstes Geschrei, auch Schießen von Russen und Polen, die in Streit geraten waren. Auch wollten sie uns durch Kolbenstöße zum Öffnen der Haustür zwingen und da wir das nicht taten, versuchten sie wieder durch die vernagelten Fenster einzudringen. Wir schrien zu Gott in unserer Not und er hat seine Engelwacht um uns gestellt. Auch diese schlimmen Tage und Nächte gingen hin, ohne dass wir ernstlichen Schaden erlitten.

Danach wurden alle Frauen geholt zum Straßen säubern. Oma Tolk wurde durch den typhusartigen Durchfall, von dem wir alle erfasst wurden, so schwach, dass wir ihr Ende nahen sahen. Mein Muttchen, die älteste mit ihren 93 Jahren, machte den Vorschlag, dass wir 2 Tage lang fasten wollen, nur etwas schwarzen Tee und harten Zwieback, den wir noch hatten, genießen sollten. Da schrieb ich ganz groß an unsere Haustür "Typhus" und wir hüteten das Bett. Ich nur einen Tag, denn am Abend ging Oma Tolk ganz sanft heim. Sie hatte sich mit ihren 85 Jahren auch schon so danach gesehnt, weil sie schon jahrelang leidend war. Nun blieb aber ihre Tochter, Frau Frost, fest zu Bett liegen. Da musste ich gesund sein und stark. Ging zum Totengräber des nahen Annenfriedhofs, der versprach, die Leiche zu beerdigen, wenn ich sie in die Leichenhalle schaffe. Dabei half mir wieder die tapfere Frau Muhs von oben. Wir beide fuhren mit unserem Handwagen die in ein Bettuch eingewickelte Leiche den steilen Berg hoch zum Friedhof, wobei wir aber öfter Station machen mussten. Wo sie ihre letzte Ruhestatt gefunden hat, weiß ich nicht, denn der Totengräber hat sie am anderen Tag still beerdigt. Gott weiß es und wird sie auch rufen am großen Auferstehungstag. Er gab auch mir Kraft, meine lieben Kranken zu betreuen.

Ich ging zu einem polnischen Arzt, der mir Kohlenstifte gab und mir sagte, dass ich in jedes Essen pulverisierte Holzkohle tun soll, die ich mir dann selbst abbrannte. Seine Frau gab mir für eine große Kristallschale mit 12 kleinen Schälchen ein weißes Brot und 1 Pfund Gries für meine Kranken. Mein Muttchen und Lenchen waren nach einigen Tagen wieder munter, aber Frau Frost lag 6 Wochen lang, zum Skelett abgemagert. Ich gab immer Holzkohle und endlich konnte sie doch wieder aufstehen und da sie noch einen Geldvorrat versteckt hatte, konnte ich sie auch pflegen, denn die Polen hatten schon überall Lebensmittelgeschäfte eingerichtet und hielten auch auf dem Markt allerlei Waren feil. Mir hatten die Polen alles, was ich noch hatte, in einer Nacht gestohlen, sogar die Kleider vom Stuhl am Bett, auch Muttchens Sachen. Am Morgen fand ich noch einige Stücke, die sie beim Klettern durch die Veranda verloren hatten, aber Muttchen musste im Bett bleiben, bis ich ihr etwas zurechtgeschustert hatte.

Lenchen hatten sie auch fast alles geraubt und sie fasste den Entschluss, gleich nach dem Pfingstfest zu Fuß bis Bischofsburg zu ihrer Tochter zu wandern, die in dem Monat ein Kindchen erwartete, um ihr beizustehen. Der Abschied wurde uns recht schwer, glaubten wir doch kaum noch, auf ein Wiedersehen hoffen zu dürfen. Mit einer kleinen Schrotkarre zog sie mit ihren geringen Habseligkeiten, einem halben Brot, einer kleinen Flasche Saft ohne einen Pfennig Geld 250 - 300 Kilometer zu Fuß los. Ob sie je ans Ziel kommen wird? Unsere Gebete begleiteten sie Tag und Nacht. Wir waren ja so vollkommen von aller Welt abgeschlossen, konnten keine Briefe schreiben und bekamen auch nie eine Nachricht nun schon 1/2 Jahr lang. Aber wir 4 Witwen waren ganz auf Gott gestellt und durften es auch erfahren, dass er ein Fels ist ewiglich. Nach mehreren ruhigen Nächten haben wir unserem treuen Gott immer noch unsere Lob- und Danklieder gesungen, oft zwar auch ein "Halleluja" unter Tränen.

Tante Horn kann nicht mehr mit einstimmen mit ihrem schönen Alt. Hat großen Luftmangel, weil das Wasser immer höher steigt. Ich helfe ihr noch jeden Tag auf den großen Lehnstuhl, in dem sie kaum noch Platz zum Sitzen hat. Wenn sie die Hände auf den Tisch legt, quillt das Wasser aus den Armen und die Bettunterlagen muss ich täglich waschen. Wäsche habe ich immer viel zu besorgen, auch für Frau Frost, die sich gar nicht recht erholen will. Mein tapferes Muttchen sitzt dann immer auf dem Wäscheplatz im Garten und hütet die zum Trocknen gehängte Wäsche, schreit und schimpft, wenn die Polen sie stehlen wollen. Ich finde ja noch immer wieder etwas in den Kellern verlassener Häuser, unter Trümmern und Schutt, aber es ist auch so eklig verdreckt und kostet erst Kraft und Seife, ehe es zu brauchen ist.

Niemals habe ich geglaubt, mit meinem kranken Herzen noch das zu leisten, was ich jetzt an schwerer Arbeit tun kann, trotz all der Angst und Schrecken und vielen Entbehrungen. Wir haben doch noch nie einen Tropfen Milch gehabt, schon lange mehr kein Fleisch, nur etwas Fett zu Soßen zu unseren prachtvollen Kartoffeln kann ich sonntags noch machen. Aber viel eingemachtes Obst ist im Keller und wunderbar schmecken Kartoffeln mit Stachelbeersuppe. Von unserem getrockneten Getreide mahlen Muttchen und ich noch immer zum Brotbacken. Auch brachte uns ein Russe, der ein Plüschsofa holen kam, einen schönen Beutel voll Mehl dafür. Wir sind jetzt ganz auf Gott gestellt und stehen uns nicht schlecht dabei. Tante Horn hat öfter Verlangen nach einer kräftigen Fleischbrühe. Da bekomme ich, wenn ich recht früh gehe, nach langem Anstehen manchmal ein paar Knochen oder etwas Pferdefleisch in dem Polen-Fleischerladen von einem freundlichen Fräulein, dem ich immer einen schönen Blumenstrauß aus unserem Garten, oft noch in netter Vase, mitbringe. Auch Frau Heise, die jetzt in ihrem früheren Geschäft für einen nicht zu schlechten Polen die Fleisch- und Wurstwaren verkauft, verwahrt mir manchmal etwas Abfälle und ich bin so froh, meinen Kranken, sowie meinem betagten Mütterlein öfter einmal kräftiges Gemüse kochen zu können.

Den Gemüsegarten hatte meine Schwester Lenchen noch bepflanzt, auch einen halben Zentner Kartoffeln auf dem angrenzenden Acker. Die Polen lassen ja alles brach und verkrautet liegen, rauben nur aus unseren bestellten Gärten. So muss ich schon immer beim Morgengrauen alles halb ausgewachsene Gemüse, Beeren usw. nehmen. Von den jungen Frühkirschen haben sie die Kronen abgeschnitten, ehe sie noch rot waren. Die wunderschön voll tragenden Erdbeerbeete ganz zertrampelt. Oh, es ist zum Weinen über diese Verwüstung.

Tante Horn bat mich, doch wieder einmal nach ihrem Haus und Garten zu sehen. Der Garten war ja arg verwüstet, voll zerbrochener Möbelstücke, Scherben und sonstigem Unrat. Das Haus, wenigstens die untere Wohnung fand ich ziemlich in Ordnung und auch bewohnt. Herr Meißner, Tante Horns Schwager, hatte die von ihr bewohnten Zimmer mit der Hilfe eines geschickten Mannes ganz ordentlich zurecht gemacht und wohnte nun mit seiner Frau (beide schon 81 Jahre) und der früheren Haustochter, jetzt Tante Annchen genannt, ganz schön darin, weil ihr eigenes großes Haus in der Horst-Wessel-Straße auch total ausgebrannt war. Die andere Seite bewohnte ein liederlicher, auch widerlicher Pole, der bei der russischen Stadtverwaltung angestellt war und nur abends nach Hause kam. Die Frau konnte ziemlich fließend deutsch sprechen und war auch nicht so schlecht.

Tante Horn wollte gerne noch zurück in ihr Haus, um da zu sterben, aber es war unmöglich, sie so weit rüber zu transportieren. Sie konnte kaum noch etwas mithelfen und ich bekam sie nur mit größter Kraftanstrengung auf den Stuhl. Auch nachts rief sie mich immer mehrmals dazu, weil sie sauber bleiben wollte bei dem schrecklichen Durchfall nun schon wochenlang. Mein Rücken war schon ganz auseinander, zerschlagen und zerhackt. Aber Gott gab mir immer wieder Kraft für jeden neuen Tag, ich war mir selbst ein Wunder mit meinen 68 Jahren, wo ich vor 3 Jahren durch den fast täglichen Herzkrampf bei geringster Anstrengung so hilflos war, dass ich mich von meinem betagten Mütterlein noch musste bedienen lassen. Ach, es ist doch etwas Großes, einen so allmächtigen Helfer zu haben.  Herr und Frau Meißner besuchten Tante Horn öfter und brachten ihr auch manchmal etwas zur Stärkung, aber Herr Meißner wurde auch von dem schrecklichen Durchfall erfasst und seine Kräfte nahmen sehr schnell ab. Ende Juli bestatteten wir ihn zu letzten Ruhe auf unserem Baptistenfriedhof, wo er schon sein eingefriedigtes Erbbegräbnis hatte.

Der geschickte Mann, der ihm immer geholfen, hatte ihm aus einem Unterteil vom Kleiderschrank noch einen engen Sarg gezimmert, den wir mit mehreren Kränzen geschmückt hatten. So hatte er doch noch ein einigermaßen würdiges Begräbnis, bei dem ihm Herr Rehrmann noch liebe, anerkennende Dankesworte nachrief, da er doch der Erbauer unserer schönen Kapelle (in finanzieller Hinsicht) war. 14 Tage nach dem 8. August 1945 wurde auch unsere liebe allverehrte Tante Horn von ihrem so schweren Leiden erlöst. Die letzten Tage war es so furchtbar, dass Muttchen und ich nur immer mit ihr selbst flehten "Mach End, oh Herr, mach Ende". Mein Muttchen saß immer treu an ihrem Bett und wehrte ihr die lästigen Fliegen ab, sagte ihr Trostsprüche und sang ihr mit ihrer immer noch schönen Stimme Heimatlieder, in die Tante Horn noch manchmal mit ihrem schönen Alt einstimmte.

Die letzten beiden Tage wollte sie außer Saftwasser nichts mehr genießen, wo sie doch so lange immer schon auf das Essen wartete. Da musste mir Fr. Muhs von oben auch immer beim Trockenlegen helfen, denn das stinkende Wasser drang aus Beinen und Armen und ich konnte den ganz unförmig geschwollenen Körper nicht mehr allein regieren. Brust, Hals und Gesicht war alles dick angelaufen und das Atmen so schwer. 24 Stunden lang stöhnte sie nur immer noch: "Oh, mein Herr, oh meine Martha!" Ich ging nachts noch mehrmals ihre Lippen anfeuchten mit nassen Läppchen. Gegen Morgen wurde das Stöhnen immer schwächer und ich bin wohl auch etwas eingeschlafen. Wie ich um 5 Uhr früh wach wurde, war alles still und ich fiel gleich an Tante Horns Bett auf meine Knie nieder und dankte unserem barmherzigen Heiland, dass er sie nun endlich von dem schrecklichen Leiden erlöst hat in die Wohnungen des Lichts. Weckte dann Frau Muhs und wir wuschen den noch warmen Körper und zogen das noch so sorgfältig versteckte Sterbehemd an. (Muttchens und meines hatten die Polen uns schon gestohlen). Den Fußboden im anliegenden leeren Zimmer hatte ich schon tags zuvor gesäubert. Darauf breiteten wir eine große starke Decke mit weißer Bettdecke und nun lieber Gott hilf uns armen schwachen Frauen und wir schafften es, den schweren Körper die paar Schritte bis ins anliegende Zimmer zu tragen und nicht zu unsanft auf die mit Sand beschütteten Dielen in Decken gewickelt niederzulegen.

Während Fr. Muhs gleich alle Sachen wusch und zum Lüften raus trug, passte Muttchen auf, dass nichts gestohlen wurde und wiederholte immer die Worte "Typhus, Tod", davor hatten die Polen Furcht. Ich ging, den Tod bei der Kommandantur melden und bat, dass die Leiche doch schnell sollte abgeholt werden, aber erst am anderen Morgen kamen drei Männer mit einem alten Gaul an kleinem Wagen. Ich bat die Leute, die Leiche doch bis zu unserem Friedhof zu bringen, damit Tante Horn neben ihrem Gatten, unserem langjährigen, treuen Prediger Horn, ruhen könne. Aber sie sagten, das ist unmöglich und wählten den allernächsten Weg zum neuen Annenfriedhof, wo sie das Grab gleich am Tor gemacht hatten. Während sie die Leiche raus trugen, goss immer das Wasser von ihr auch durch den Wagen.



Ausschnitt aus dem Elbinger Stadtplan von 1945. Der St.-Annen-Friedhof befindet sich nordöstlich von der Sonnenstraße und der Baptistenfriedhof liegt beim Johannisfriedhof unterhalb der Hindenburgstraße am Baumschulenweg (rechts unten).


Tante Horn hatte noch immer etwas Geld zu ihrem Begräbnis bei sich im Bett versteckt, und so konnte ich die deutschen Männer und auch Frau Muhs bezahlen. Nachmittags, als wir alles sauber gemacht hatten, gingen wir beide Frauen noch das frische Grab mit selbstgewundenen Kränzen und Blumen schmücken und haben Gott für die Erlösung gedankt und unserer teuren Entschlafenen das von ihr gewünschte Lied "Lass mich gehen usw." gesungen. Ihre Kinder, Dr. Dienels, Berlin-Steglitz konnte ich ja nicht benachrichtigen, auch niemand sonst von den Verwandten, nur Herr und Frau Rehrmann und Frau Meißner. Die letzte Ruhestätte weiß aber nur ich allein. Doch mein Christus, der große Lebensfürst wird auch sie einst rufen zur großen Siegesfeier. Es bedrückt mich doch sehr, dass ich dieser stattlichen, geistig so hoch stehenden Predigerfrau, die mir liebste Freundin war und mir so manchen Segen vermittelte, kein würdiges Begräbnis bereiten konnte. Mein liebes Muttchen wäre am liebsten auch gleich heimgegangen, meinte, mit ihr ist es nun doch höchste Zeit. Aber ich sagte, dass ich an ihr jetzt die im letzten halben Jahr ganz versäumte Kindespflicht erst noch nachholen will.

Wir hatten auch fast 14 Tage Ruhe vor den Polen, die den Typhus fürchteten. Den Zettel ließ ich immer noch an der Haustür, denn Frau Frost war immer noch sehr schwach. Ich verkaufte an eine ziemlich anständige Polenfrau gutes Porzellan und Kristall, was ich in Kisten verpackt noch vorfand (leider war vieles schon kaputt). Bekam dafür Geld (Zlotys) auch etwas Lebensmittel und konnte mir zweimal wöchentlich 1/2 Liter Milch für mein Muttchen zur Suppe holen. Wir erholten uns beide, ebenso Frau Frost. Ich sehe noch Muttchens glückstrahlendes Gesicht, wie ich ihr einmal ein frisches, knuspriges Brötchen mitbrachte, das sie über 1/2 Jahr nicht mehr gesehen hatte. Sie freute sich wie ein Kind. Mein selbstloses Muttchen war ja auch nun mein Kind, mein einziges Kleinod noch. Wir hatten nun Kraft sammeln können für den neuen Überfall, der uns bevorstand.

Kommt eines Tags ein recht wild aussehender Russe durch das Verandafenster geklettert, guckt sich um, was noch zu rauben wäre und da er nichts Wertvolles mehr entdeckt, geht er auf mein am Ofen sitzendes Muttchen zu und will ihr das schöne, wollene, selbstgestrickte Tuch von den Knien reißen. Weil sie es mit einer Hand festhält, holt er gleich mit dem Gewehrkolben aus, um sie zu schlagen. Ich springe sofort dazwischen, fasse den Lauf und schreie aus Leibeskräften um Hilfe, meine Mutter lasse ich nicht schlagen. Er nimmt mich wie ein Flickerpuppe und hat mich über die Tischkante, wobei mehrere Rippen knackten, rückt dann aber aus, weil ein vorbeikommender Offizier durch das Geschrei aufmerksam geworden war. Sagt: "Nicht gut, nicht gut", sonst kann er wohl nichts, geht aber ins andere Zimmer, wo noch ein guter, großer Teppich unter Scherben und Schutt lag. Den lässt er durch seinen nachfolgenden Burschen abschütteln und aufgerollt mitnehmen, ja das kann er, das ist gut. Ich wusste abends nicht, wie ich mich hinlegen sollte vor Schmerzen. Wickelte mir dann aber ein langes Handtuch fest um, womit ich dann mehrere Tage ziemlich krumm gegangen bin.

Eine Polenfamilie war in die obere Wohnung von Frau Muhs gezogen, die sich dann bei ihrer älteren Schwester einige Häuser weiter einquartierte. Der Pole trat gleich recht frech auf, schloss die Stätte, in denen die Brennung war, ab, nahm das Gemüse, Obst, Beeren und Kartoffeln aus dem Garten und sagte: "Alles mein, geht sucht euch". Ich beschloss nun, in Tante Horns Haus umzuziehen, wie sie es mir auch geraten hatte. Schaffte immer, wenn ich den Polen fort wusste, noch vorhandene Lebensmittel aus dem Keller dorthin, grub auch die von uns gepflanzten so schön gewachsenen Kartoffeln zum Teil aus, auch etwas Feuerung schaffte ich rüber, die ich mir im leeren Zimmer versteckt hatte. Der Pole kam fast alle Tage jetzt in unsere Wohnung, sagte immer, du ruhig hierbleiben kannst, ich oben wohnen, suchte sich aber immer etwas aus, das er gebrauchen konnte, sei es eine Tischdecke, die Gardinen vom Fenster oder sonst etwas. Den sorgfältig getarnten Keller in der Veranda entdeckte er von draußen her, wie er mich einmal gehört hatte darin rumwirtschaften. Verbot mir dann, da nichts mehr rauszuholen. Zum Glück hatte ich schon das Beste fort.

In der letzten Nacht, es war noch gar nicht dunkel, weil die Russen die Uhren noch 2 Stunden früher gestellt hatten. Muttchen und ich hatten uns aber schon zur Ruhe gelegt in dem kleinen einfenstrigen Schlafzimmer, das wir uns schon während Tante Horns Krankheit eingerichtet hatten, waren auch schon im Halbschlummer, als ich durch sonderbares Knacken am Fenster geweckt wurde. Ich schnell meinen Lodenmantel über, der immer bereit lag, sehe wie ein schon älterer, betresster, ganz mit Orden bedeckter Offizier mit seinem Säbel die großen Nägel aufbiegt und das Fenster ausheben will. Ich stelle mich in ganzer Breite davor und fange an zu schimpfen, wie nie zuvor: "Du gemeiner Kerl, Schweinehund du, wirst du dich wohl wegscheren" und mach mit den Fingern immer "pfui, schäme dich". Muttchen ruft immer ganz laut alle möglichen Männernamen: Josef, Karl, Franz, Heinrich, kommt alle zur Hilfe. Da zog der alte Sünder ab. Ich hatte nie Courage, aber unter den Polen musste man' s lernen. Der hatte wahrlich alle Orden verdient.

Ich habe dann noch schnell von innen große 4 Zoll Nägel, die mit dem Hammer schon immer bereit lagen, vorgeklopft und wir befahlen uns nochmals ganz innig in Gottes Schutz. Beim Morgengrauen stößt wieder ein noch junger, betrunkenen Russe das Küchenfenster kaputt und steigt mit wüstem Geschrei ein. "Alle aufstehen, hier Gestapo!" stellt alle drei Frauen, mein betagtes Muttchen auch, an die Wand, wirft alle Betten auf den Fußboden, fuchtelt uns immer mit dem Säbel vor dem Gesicht rum und schreit, wenn ihr nicht deutsche Männer rausgebt, sperre ich euch drei Tage in den Keller ein, wie ihr jetzt steht. Nachmittags komme ich wieder und er kam, aber ziemlich nüchtern, überreichte mir einen Rosenstrauß, klopfte mir freundlich auf die Schulter und sagte: "Nicht böse sein, Mutter." Er war ja schon öfter bei uns gewesen nach Streichhölzern, um sich die Zigarette anzuzünden. Er war sonst nie böse, unterhielt sich in ziemlich gutem Deutsch mit mir und warnte mich vor dem Polen, der oben wohnte. Die Russen und Polen vertrugen sich überhaupt schlechter wie Hund und Katze.

Wir gingen noch vor Abend mit unseren geringen Habseligkeiten nach der Sonnenstraße 72 in Tante Horns Haus, wo Annchen Sadowski, Herr und Frau Meißners frühere Haustochter, uns das große Verandazimmer eingerichtet hatte. Meinem Mütterlein und Frau Frost war schon der nicht weite Weg recht schwer und wie viele Male war ich doch schon mit dem bepackten Sportkarren den Berg hinausgefahren? Frau Frost erinnerte mich noch, wie sie mir vor 2 Jahren 3 große Äpfel in die Handtasche gesteckt beim Nachhausegehen und ich sie wieder, schon am Gartenzaun, wo es etwas bergan stieg, hingelegt habe, weil ich nicht weiterkonnte. Ich sagte ihr, sie solle nur Mut fassen. Unser wunderbarer, starker Gott hilft auch ihr wieder auf. Sie ist ja fast 10 Jahre jünger als ich, hat aber so gar keinen Lebensmut. Mir hilft ja auch viel das eiserne Muss, denn abends kann ich lange wegen Herz- und Rückenschmerzen nicht einschlafen, aber morgens geht es wieder, muss gehen, Annchen sagt ebenso, und wir beide schleppen auch alles Wasser von einem ziemlich entfernten Hof aus der Königsbergerstraße heran, weil doch alle Leitungen zerstört sind und die Polen nichts in Ordnung bringen. Ja, sich höchst verwunderten, dass bei uns in der früheren Wohnung auf dem Stadtfeld das Wasser aus der Wand kam. Drehten daher in vielen Küchen und Stallungen die Wasserhähne ab und klopften sie bei sich in die Wand und wunderten sich dann wieder, dass kein Wasser kam. Sagten ganz stolz: "Wir bringen deutschen Schweinen Kultura".

Ja, Läuse und Flöhe, die brachten sie in Unmengen. Überhaupt nahmen Fliegen und Mücken, die wir früher in der Stadt kaum kannten, völlig überhand, weil die Straßen nie gesäubert wurden vom Unrat und auf den stinkenden Wiesen und Gräben, wo das Wasser nun schon 3/4 Jahr keinen Abfluss hatte, sammelte sich das Ungeziefer in großen Scharen. Die Nogat- und Weichseldämme waren durchstochen und die Wasserwerke stillgelegt. Auf dem Elbingfluss schwammen Pferdeleichen, Deutsche- und Russenleichen friedlich beieinander und verpesteten in der Hitze die Luft. Na, wir wohnten wenigstens nicht nahe dabei. Annchen ging aber öfter über die schwankende Notbrücke des Flusses zu ihrer eigenen Wohnung, Michelauer Weg, und freute sich, dass da noch nicht geplündert war, überhaupt auch die anderen Wohnungen im Haus ziemlich in Ordnung waren. Vorläufig hatten wir ja auch hier in der Sonnenstraße noch Ruhe, aber sie schaffte schon die Wertgegenstände, die noch von Herrn Meißner zusammen getragen waren, alle dort rüber, weil sie gehört hatte, dass der Pole nach unserer Wohnung trachtet. Es wohnte sich hier sonst ganz schön, nur sonntags hatten die Polen im gegenüberliegenden Haus, wo sie einen Tanzsaal eingerichtet hatten, den ganzen Nachmittag bis spät in die Nacht solch entsetzlichen, Ohren zerreißenden Lärm durch ihre gräuliche Musik, das Getrappel und Gegröle, dass es kaum zum Aushalten war.

In der 2. Woche bekamen wir auch Polenbesuch. "Hier Miliz, sofort aufmachen", brüllten drei betrunkene, bewaffnete Räuber. Bei mir waren sie gleich zuerst immer drin. Forderten die russischen Ausweise, die wir uns hatten ausstellen lassen müssen, sagten, alle still sitzen bleiben und fingen an, alle Schubladen und Schränke zu durchwühlen. Ich sagte, dass ich in der Küche nach dem Mittagessen sehen müsse und setzte mich still hin, um Kartoffeln zu schälen. Da ließ mich der Kerl und ging zu den andern weiter ans Rauben. Wie er aber meine lauten Hilferufe, die ich durchs offene Fenster erschallen ließ, hörte, kam er schnell wieder, packte mich am Arm und sperrte mich ins Klosett ein. Das Schloss hielt ja nicht, aber ich getraute mich nun doch nicht raus und bat nur immer um Schutz für mein betagtes Muttchen. Wohl eine halbe Stunde suchten die Räuber alle Zimmer durch. Bei Frau Meißner fanden sie ja noch Allerlei.

Wie ich sie verschwinden sah hinten über den Hof mit Säcken und Koffer, kam ich schnell aus meinem Gefängnis und tröstete mein weinendes Muttchen, der sie nun auch das schöne, warme Tuch von den Knien genommen hatten. Sie sagte aber, dass sie nur um mich geweint, weil sie glaubte, sie hätten mich mitgeschleppt. Ich sagte ihr, dass sie solch alte Frau wie mich nicht mehr mitnehmen. Ich kam ihr mit meinen nun fast 68 Jahren noch immer jung vor. Die Betten lagen abgezogen auf dem Fußboden und ich hatte sie doch gerade nun zum Sonntag frisch überzogen. Alles, was noch von Wäsche war, hatten die Räuber mitgenommen. Zum Glück konnte ich nun noch die schmutzigen Bezüge aus dem Wäschekorb schnell waschen und wir waren froh, dass wir uns am Abend wenigstens noch ins Bett legen konnten. Wir mussten jetzt für unser Zimmer Miete an die russische Stadtverwaltung zahlen und eben kam der Einsammler, der sagte, ich soll zur Kommandantur gehen, den Raub melden. Aber da war ich ja schon mehrmals gewesen und stets nur mit Achselzucken abgewiesen. Ihr müsst besser aufpassen, sagten die Herren. Wir waren eben ganz ohne Schutz, vogelfrei.

Aus den Kellern suchte ich mir wieder allerlei noch einigermaßen gute Lumpen zusammen, die ich sauber gewaschen zu Wäschestücken und Kleidern zurecht machte. So hatte ich mir eben aus 14 Stücken Stoff, die im Farbton harmonierten, ein Kleid für mich zum Geburtstag zusammengestichelt und Annchen nahm es mit mehreren Wollsachen im Karton verpackt mit in ihre Wohnung über dem Elbingfluss. Ganz traurig kam sie zurück und sagte, diesmal haben ihr die Polen auf der Brücke alles fortgenommen. Na, mich konnte kaum noch etwas erschüttern. Zum Umziehen hatten wir ja nun nicht mehr viel. Die wenigen Lebensmittel hatte ich in meinen Korb gepackt. Die Betten wollte Herr Rehrmann mir mit einem Handwagen rüber bringen nach Feierabend. Ich bin gerade mit meinem Mütterlein beim Mittagessen. Hatte für eine gute lederne Handtasche von Tante Horn 1 Pfund Rauchspeck und ein schönes Gericht Pilze, auch Zwiebeln und 2 Brötchen eingehandelt, also ein schönes Geburtstagsmittagessen bereitet, das wir uns gut schmecken ließen.

Plötzlich hören wir Kolbenstöße gegen die Tür. "Hier Miliz", aufmachen sofort!" Voran kommt der Pole von nebenan und drei bewaffnete hinterher. "Raus, raus, sofort!" und nimmt mich am Arm. Ich bitte, lass uns doch noch etwas essen. Er verstand etwas deutsch und wehrte dann den anderen, die gleich dreinschlagen wollten, sagte aber, in 5 Minuten alles raus, alles mein hier. Da nahm ich den Topf mit heißen Pellkartoffeln, die Teller mit geschmorten Pilzen darauf, mein Muttchen an die Hand und raus auf den Hof in den Regen. Die Frau des Polen winkte uns aber in ihre Wohnung nebenan und ich ging noch schnell Muttchens warme Schuhe holen, denn sie war ja wieder in Strümpfen, weil sie die Füße auf der Wärmflasche auf dem Bänkchen hatte. Der Pole ließ mich auch noch den Brotkasten mitnehmen. Wie ich ihn aber noch bat um 1 Bett für meine alte Mutter, wurde er böse. Die Frau ließ uns ruhig essen, gab Muttchen auch noch warmen Kaffee.

Ich ging nun Unterkunft suchen in dem strömenden Regen und Gott führte mich zu Frau Heise, die jetzt dem Polen, der von ihrer Schlächterei Besitz genommen hatte, wirtschaftete. Sie hatte oben noch das Zimmer ihres in Gefangenschaft geratenen Sohnes frei und war gleich bereit, Muttchen und mich solange aufzunehmen, bis er heimkommt. Machte noch ein Bett auf dem Chaiselongue zurecht für mich und ich ging mein Muttchen holen. Unterwegs murmelte ich immer: "Die Füchse haben Gruben und die Vögel unter dem Himmel haben Nester!", weiter kam ich aber nicht, schämte mich dann doch zu sehr. Was bin ich armer, zertretener Wurm gegen den großen Gott- und Menschensohn, der also klagen musste? Mit meinem Mütterlein am Arm und einem kleinen Bündelchen in der anderen Hand ging ich dann ganz getrost unserem nächsten Heim zu. Es war inzwischen fast Abend geworden, aber die Sonne vergoldete und bedeckte mit ihren lichten Strahlen noch einmal das ganze Elend ringsum und hüllte auch uns beide ein in das barmherzige Erbarmen unseres großen Gottes.

Frau Heise sagte mir später noch, wie sie sich gewundert hat, dass ich fast heiter beim Eintreten gesagt habe: "Hier bin ich und alles, war mir Gott gelassen hat, aber ich habe und halte ihn fest". Ein kleines tröstliches Erlebnis mit einem Russen mittleren Alters noch aus unserem früheren Heim muss ich noch berichten. Ich traf ihn im Hausflur und als ich aus dem Garten kam. Er hatte solch freundliches, gutmütiges Gesicht, trat ganz bescheiden zur Seite und fragte, du Mutter hier? Wie ich bejahte, sagte  er in gebrochenem Deutsch: "Krieg nicht gut, deutsche Soldaten auch nicht gut, mein Haus verbrannt, alte kranke Mutter mit verbrannt, meine Frau und Kinder zur Arbeit mit verschleppt, ich ganz allein, aber hier Frieden, indem er die Hand aufs Herz legte. Dort immer Friede gen Himmel weisend. Du auch Frieden? Wie ich mit Tränen im Auge nickte, nahm er meine Hand in seinen braunen starken Hände, streichelte sie sanft, guckte mich so lieb und treu an und sagte: "Schwester nicht weinen. Gott weiß alles!" Das hat mich so gestärkt und ermuntert.

Am nächsten Tag, es war Sonntag, und die Russen feierten den Sieg über Berlin, kam ein betrunkener Russe plötzlich und forderte von mir den russischen Ausweis. Wie ich ihn nicht gleich geben wollte, setzte er mir die Pistole auf den Brust. Muttchen schrie auf. Er sagte: "Du alte Gluck ruhig sein!" und zu mir: "Du mitkommen, sonst ich schießen!" Die Polenfrau von nebenan kam dazwischen und sagte zu mir: "Geh nur ruhig, sollst nur 1 Stunde arbeiten, dann kommst du wieder nach Hause, ich Mutter aufpassen." Der Russe trieb mich mit Kolbenstößen in die Kniekehlen vorwärts zu einem Haus, wo er schon 5 Frauen unter Bewachung aufgestellt hatte. Wir wurden dann auf einen großen Hof einer Weinbrandbrennerei geführt. Dort wurden von einem Offizier die Pässe nachgesehen und eingesteckt. Dann wurden 4 noch jüngere Frauen an einen großen Handwagen mit großen Ballons und Flaschen beladen vorgespannt und ich mit noch einer älteren Frau mussten hinten nachschieben. Wohl 10 Mann Bewachung mit Rädern seitlich und hinterher schrien immer "los, schnell!" und es ging doch so steil bergan hinten um die Stadt in den entlegenen Straßen. Ich bekam so starkes Nasenbluten, dass die ganze Schürze schon blutig war. Da rief mich der Offizier, gab mir den Ausweis und sagte: "Du zu alt, geh nach Hause!"

Wie freute sich mein geängstigtes Muttchen, dass ich wieder da war. Die Schürze hatte ich gleich auf dem Hof in eine Wanne mit Wasser gelegt. Sehr müde und zerschlagen legte ich mich zur Ruhe, sprach aber zu meinem Muttchen immer von dem schönen Erlebnis vom Tag zuvor. Und so hat Gott es immer eingerichtet, dass vor oder nach besonders schweren Tagen es dann auch eine Stärkung wieder gab. Oh unser treuer Gott hat uns nicht einen Augenblick verlassen. Nie zuvor hatten wir in solchem Maße seine beseligende Nähe, seinen reichen Frieden genossen, als jetzt, wo wir so ganz allein auf unseren himmlischen Vater angewiesen waren. Mein Muttchen sagte immer: "Es gibt doch nichts Seligeres, als in Gottes Erbarmen zu ruhen und von seiner Gnade zu leben." Auch an dem Sonntagabend haben wir beide noch gesungen: "Reicher kann ich nirgends werden, als ich schon in Jesu bin," usw. und noch "Oh in den Armen Jesu." Wir haben beide immer so gern gesungen und manchmal hat das die Feinde von unserer Tür vertrieben, denn wir hörten, dass sie sich entfernten.

Bei Frau Heise fühlten wir uns recht wohl. Ich besorgte ihr den Haushalt, weil sie doch unten in der Fleischerei des Polen immer sein musste. Ich konnte meinem Muttchen immer kräftiges Essen rauf bringen in unser Stübchen, was sie leider aber nicht mehr vertragen konnte nach den Wochen so karger Ernährung. Sie wurde den schrecklichen Durchfall nicht mehr los und ihre Lebenskraft nahm sehr ab. Frau Heises Mann war krank an Leib und Seele aus der Verschleppung zurückgekommen, so elend und voller Narben und blauen Flecken von den vielen Misshandlungen, weil er sich als Nazi hatte bekennen sollen, was er doch nie gewesen war. Den Sohn erwarteten sie nun auch bald, hatten aus einem Lazarett Nachricht von seiner baldigen Genesung nach schwerer Krankheit erhalten.

Da war ja unseres Bleibens auch nicht mehr lange und ich ging zu Tante Annchen über die schwankende Notbrücke des Elbingflusses. Sie war ja nur aus schmalen Anlegeplanken mit einseitigem Geländer von den Russen für die Fußgänger notdürftig gelegt und ich durfte ja nicht runtergucken, sonst wäre ich ins Wasser gefallen. Später ging es schon besser, man wird' s gewöhnt. Annchen half mir, unten im Haus ein kleines, nicht zu sehr mitgenommenes Zimmer sauber zu machen. Herr Rehrmann machte die Fenster heil . Der Ofen und Herd waren ziemlich in Ordnung und auch Brennung im Keller, sodass ich schön warm machen konnte. Einige Male holten wir verschiedene Dinge aus den Kellern der verbrannten Häuser. Frau Heise gab mir noch ein Bett für Omachen und eine Decke für mich. Wie ich alles rüber gebracht  hatte über den Fluss, kam Herr Rehrmann mit seinem Schwager und trugen mein schwaches Muttchen im Korbstuhl, abwechselnd ging sie auch noch gestützt. Über den Fluss musste sie Herr Rehrmann immer vor sich herschieben, weil zwei nicht nebeneinander zum Gehen Platz hatten. Gott half, das wir glücklich im neuen Heim ankamen, wo Annchen uns mit heißem Kaffee empfing. Mein Muttchen fühlte sich ganz glücklich in der warmen Ofenecke in ihrem Korbstuhl und sagte: "Nun brauche ich aber nicht mehr umziehen, nur noch ganz nach oben."

Am anderen Morgen brachte mir eine Frau aus dem Hause gegenüber der Straße drei schöne dicke Federkissen. Sagte, sie hat gehört, dass ich kein Bett mehr habe. Ich fiel ihr um den Hals und dankte ihr unter Tränen. Es war doch schon Oktober und nachts hatten mir die Beine gefroren. - 14 Tage hatten wir bei Frau Heise Unterkunft und Verpflegung gehabt, aber nun hieß es, die selbst ranschaffen. Kartoffeln durfte ich mir noch öfter von Frau Heise holen, auch mal einige Knochen, aber Brot, wo sollte ich Brot hernehmen? Hatte ich doch keinen Pfennig Geld, auch nichts, gar nichts zu veräußern. Unser tatkräftiges Annchen half. Wir gingen in die zerstörten Häuser, in die Keller und fanden da noch allerlei brauchbare Sachen von Wäsche und Kleidungsstücken unter Schutt und Unrat, auch Wolle. Alles wurde gewaschen und Schürzen und Kinderkleidchen recht bunt, wie die Polen es liebten, zurechtgeschneidert und auf dem Markt verkauft. Ich hatte darin einiges Geschick und Annchen wieder im Ranholen und Verkaufen. So ging es ganz gut, wenn ich von früh bis zum Dunkelwerden fleißig stichelte, alles mit der Hand natürlich. Holz hacken und zusammensuchen musste ich auch und mein Muttchen besorgen.

Oh wie schwer war es mir zu sehen, wie sie täglich immer schwächer wurde. Aber nie ungeduldig, immer zufrieden und fröhlich blieb mein tapferes Muttchen, war so glücklich, wenn ich ihr wieder, nachdem ich sie frisch gemacht hatte, in den großen Korbstuhl in die warme Ofenecke half. Doch plötzlich wollte sie nichts mehr genießen, auch nicht mal die schöne Hühnerbrühe, die ihr Annchen noch brachte. Sie konnte nun auch nicht mehr auf sein, hat aber nur 3 Tage fest liegen brauchen. Ich hatte ihr einen Stock auf den Tisch am Bett gelegt, damit klopfte sie, wenn sie mich brauchte und ich in der Küche zu tun hatte. Ich musste ihr noch öfter nachts, auch am Tage auf den Stuhl helfen, weil sie nichts schmutzig machen wollte und es kam doch nur immer ganz weniger blutiger Schleim.

Am 19. Oktober vormittags klopfte mein Muttchen recht hastig und bat dann so ängstlich: "Lass mich doch nicht allein, bleibe bei mir mein Kind, der Teufel sagt, ich bin nicht Gottes Kind er hat mich ganz vergessen, sonst würde er mich doch erhören und heim rufen." Ich machte die Tür groß auf und sagte: "Nun aber raus Satan, du hast hier nichts zu suchen, Jesus ist Sieger." Setzte mich zu meinem Muttchen ans Bett, nahm ihre Hand fest in die meine und sagte ihr viele tröstliche Verheißungen. "Ich habe dich erlöst, du bist mein, fürchte dich nicht. Wenn du durchs Wasser gehst, will ich bei dir sein, usw." Habe ihr auch noch leise gesungen: "Welch Glück ist' s erlöst zu sein" und andere Heimatlieder und sie versuchte noch mitzusingen. Alle Angst war fort, still glücklich streichelte sie immer meine Hand und dankte mir und ich ihr, meinem teuren Mütterlein, und es waren so selige Augenblicke, wir durften hineinschauen durch einen Spalt in die Wohnungen des Lichts. Mein Muttchen sagte: "Nun ist alles gut. Was ist doch mein ganzes langes Leben, alles eitel, nur Jesus, Jesus bleibt." Ich sagte ihr: "Ja, und die Engel stehen schon bereit, dich heim zutragen in des Hirten Arm und Schoß, heute noch", denn ich sah es an ihrem veränderten Gesicht. "Oh, wie schön, wie gut," sagte sie noch und schlief ganz ruhig, glücklich lächelnd ein.

Mein Feuer war ausgebrannt in der Küche, ich brauchte auch kein Mittagessen, machte meine Wäsche fertig und ging inzwischen immer wieder nach meinem Muttchen sehen. Sie atmete ganz ruhig, doch schwächer, schlief und merkte nicht, wenn ich mich über sie beugte. Bei Sonnenuntergang, ich war eben oben bei Annchen gewesen, um mit ihr zu besprechen, wo wir Muttchen hinlegen, wenn sie nun stirbt, beuge ich mich über sie, sie liegt genau so wie vor 10 Minuten, aber ihr Geist ist entflohen, sie atmet nicht mehr, ist hinübergeschlummert, Augen und Mund sind fest geschlossen, nur das friedliche, glückliche Lächeln liegt auf dem teuren Mutterantlitz. Annchen sagte auch beim Eintreten: "Sieh nur wie ein glückliches Kind im Mutterarm ist sie eingeschlafen." Keine Träne habe ich geweint, nur Gott gedankt, dass er ihr das heiße Sehnen nun gestillt und mein teures Mütterlein heimgeholt in die Wohnungen des Lichts, wo kein Leid, kein Geschrei, kein Krieg mehr ist, sondern Friede, ewige Freude und Wonne.

Annchen half mir, Muttchen waschen und das letzte saubere Hemd anziehen und wir trugen sie ins andere leere Zimmer, wo nur Brennung lag, die ich schön aufgeräumt hatte. Dort wickelten wir sie in das letzte, geflickte Bettuch ein und legten sie ganz behutsam auf die zurecht gelegten Bretter, ein altes Sofakissen unter den Kopf. Anderntags ging ich zu Herrn Rehrmann, der in Kraffohlsdorf, außerhalb der Stadt Arbeit und etwas Verdienst gefunden hatte. Er versprach mir gleich, sich einige Stunden vor Feierabend frei zu machen, um für mein Muttchen das Grab neben Vaters auf unserem Friedhof zu machen. Wir hatten da schon ein schön eingefriedigtes Erbbegräbnis mit großen roten Granitsteinen. Mit einem großen Arm voll schöner Herbstblumen und Tannengrün kehrte ich heim und bedeckte damit die teure Leiche, welche Annchen mit Hilfe eines alten Mannes mit dem Brett auf einem großen, alten, im Keller gefundenen, hochrädrigen Kinderwagen festgebunden hatte.

Nach kurzer Andacht fuhren wir beide und noch 2 Nachbarinnen mit Spaten und Schaufel über die weit entlegene feste Elbingbrücke über 1 Stunde weit bis zu unserem Gemeindefriedhof. Der Brückenposten ließ uns ruhig durch und auch in der Stadt wurden wir nicht angehalten. Ich half Herrn Rehrmann noch, das Grab fertig zu machen. Annchen legte es mit Tannengrün aus. Es war ja nur flach gegraben. Herr Rehrmann nahm mein Muttchen ganz allein auf seine Arme, sagte, sie wiegt höchstens noch 50 - 60 Pfd., und legte sie so behutsam wie ein Kind in ihr letztes Bettlein. Wir sangen ihr die drei letzten Strophen von "Was kann es schönres geben, usw." und "Wenn wir müde werden, dann bringt er uns zur Ruh, und deckt mit kühler Erde die müden Kinder zu" und auch die beiden letzten Strophen. Herr Rehrmann sprach einige schöne Bibelworte und auch die Anerkennung ihrer Treue im regelmäßigen Besuch der Gottesdienste sowie ihrer Liebe zu schönem Gesang, durch den sie in jungen Jahren als 1. Chorsängerin freudig gedient und den sie später in ihrem Hause immer gepflegt, selbst eingeübt hat und auch noch in ihrem hohen Alter jedes Lied mit richtigem Ton angestimmt hat in den Bibelstunden und Frauenstunden, wo kein Instrument gespielt wurde. Wir schmückten noch den teuren Hügel und mussten dann auch eilen, dass wir vor Dunkelwerden noch über die Elbingbrücke kamen.

Meines teuren Mütterleins Platz war nun leer am Ofen und ich kam mir doch etwas vereinsamt vor, obgleich durch alle Angst und Schrecken unsere Gefühle schon sehr abgestumpft waren. Keinem von meinen 7 noch lebenden Geschwistern konnte ich den Heimgang unseres geliebten Muttchens mitteilen. Wo sind sie alle? Und meine 4 Kinder, die alle näher der Grenze wohnten wie ich. Von den beiden ältesten Töchtern wusste ich, dass sie mit dem großen Treck nach Pommern geflüchtet waren mit ihren Kindern, auch meine Schwiegertochter mit ihren lieben Kleinen. Der Sohn und die Schwiegersöhne im Felde vor dem Feind tot oder in Gefangenschaft? Oh, diese lange Ungewissheit, schon fast ein Jahr ohne Nachricht. Wie bange wird mir doch oft ums Herz. Ich bin nun ganz allein auf Gott gestellt, selbst so elend geworden an Leib und Seele, sage ich öfter: "Mach ein End, oh Herr, mach Ende."

Aber mein treuer, all weiser Vater hat schon vorgesorgt, dass ich nicht verzagen kann. Gleich 3 Tage nach Muttchens Tod kommen plötzlich 2 Frauen zu mir ins Zimmerchen und führen einen vom Wasser triefenden alten Mann in der Mitte, den sie, wie sie berichteten, beim Wasserholen aus dem Fluss vor dem Ertrinken gerettet haben. Hinterher kommt auch gleich Tante Annchen mit einem Hemd und Unterhose von ihrem verstorbenen Mann und hilft mir den zitternden Opa auszuziehen, mit erwärmten Tüchern trocken reiben und in meines Muttchens Bett bringen. Während ich die Wasserlachen aufwische, holt sie schon heißen Kaffee und bringt auch eine heiße Wärmflasche mit und sagt: "So, diesen Opa musst du nun behalten. Ich kenne ihn als einen sehr ordentlichen Mann hier in meiner Nachbarschaft. Vor 2 Wochen ist ihm die Frau gestorben und heute haben ihn die Polen aus seinem eigenen schönen Haus verwiesen so wie er stand, nur mit Hose und Wolljacke in warmen Hausschuhen. Da hat ihn die Verzweiflung gepackt, und er ist in den Fluss gegangen. Dir hat Gott nun wieder eine Aufgabe gegeben, du sollst ihn gesund pflegen an Leib und Seele. Ich gehe gleich zu den Polen hin und will sehen, dass ich noch wenigstens Kartoffeln und andere Lebensmittel für ihn rauskriege, denn ich weiß, dass er noch einen guten Vorrat hat aus seinem großen Garten."

So bestimmt sagte das alles Tante Annchen, und ich konnte nichts darauf erwidern, als: "Bin ich denn die Witwe von Sarapta?" "Ja," sagte sie, "wenn du auch Saretzki heißt. Ich habe noch die schwer kranke Frau Meißner zu pflegen und so viel ich kann, helfe ich dir auch." Annchen konnte sich etwas mit dem Polen verständigen und war auch ziemlich resolut. Brachte nach kurzer Zeit zwei nette Beutel mit Weizen und Gerste, einen Napf mit Schmalz, auch Speck und Kartoffeln und versprach, am anderen Tag noch mehr zu holen. Opa Kontowski sprach an dem Tag kein Wort, stöhnte nur ab und zu. Wie ich ihm aber schöne Kartoffelsuppe mit Speck und Zwiebeln eingebraten ans Bett brachte, aß er den vollen Teller ganz leer. Dann sagte ich, dass ich immer meine Abendandacht halte und ob ich laut aus der Bibel vorlesen soll, da nickte er bejahend. Ich habe dann den 23. Psalm gelesen, uns in Gottes gnädigen Schutz befohlen und das Lied: "Nun ruhen alle Wälder" gesungen. Bei dem letzten Vers "Breit aus die Flügel beide usw." schluchzte er laut auf. Ich überzeugte mich noch, dass er gut warm war, streichelte ihm die runzlige Wange und wünschte ihm eine gute Nacht. Mit einem Mal überkam mich nun doch solch eigentümliches Gefühl, dass ich mit einem ganz fremden Mann nun in einem Zimmer schlafen sollte. Aber es war eben Krieg und er ein 78jähriger, kranker Opa, also noch 10 Jahre älter als ich und so schlief ich ganz friedlich ein.

Die Polen hatten uns in diesem Haus überhaupt noch nicht belästigt. Das kam wohl daher, weil ganz in der Nähe russische Bagage lag in einem großen Haus mit Garten. Opa Kantowski stand am anderen Morgen gesund auf und zog seine eben gebügelten Sachen an. Dann fragte er mich, nein bat mich vielmehr, ihn doch zu behalten. Er ist durch mein Singen und Beten mit ihm so beruhigt worden und möchte nicht noch einmal in die Verzweiflung fallen, seinem Leben ein Ende zu machen, weil es doch gottlos ist und, da seine Frau im Glauben an ihren Erlöser heimgegangen ist, will er sich ihm auch jetzt ganz anvertrauen. Wir haben nun immer zusammen Morgen- und Abendandacht gehalten und Opa erbot sich, den Bibelabschnitt und Zettel zu lesen und ich sollte singen und beten. Er ging auch mit Tante Annchen aus seinem Keller noch Kartoffeln holen, auch einen großen Beutel von seinem geernteten Weizen gab ihm der Pole noch. Da hat er davon, wenn er gut trocken war, immer auf der Kaffeemühle Grütze gemahlen zur Morgen- und Abendsuppe, und so hatten wir vorläufig keine Not.

In unser Haus zog nun auch Herr Rehrmann mit seiner Frau, Tochter und Enkelin, auch seinem kranken Schwager ein und in das größere Zimmer neben meinem kleinen, Familie Neumann, auch Geschwister zu unserer Gemeinde gehörig. Oben neben Tante Annchen wohnten Herr und Frau Stangnat aus der landeskirchlichen Gemeinschaft und unten noch eine Frau Krause mit 2 Kindern, der alten, kranken Mutter und Schwester, auch liebe, christliche Leute. Alle kamen wir nun sonntagnachmittags immer zusammen bei Tante Annchen, die auch Frau Frost aufgenommen hatte, zum gemeinsamen Gottesdienst, den Herr Rehrmann und Herr Stangnat abwechselnd leiteten. Auch aus der Stadt kamen noch die Frauen Freundlich und Kornblum und brachten auch noch ein ukrainisches Ehepaar, Baptistengeschwister, mit. Wenn wir uns auch nicht viel verständigen konnten, so sahen wir es doch den leuchtenden Augen an. Also verstärkt in Freud und Leid, der Gemeinschaft Seligkeit.

Doch die Polen wurden aufmerksam, weil sie uns singen hörten und an einem Sonntagnachmittag kommt ein betrunkener Pole, stößt mit dem Kolben die Tür kaputt, sagt : "Keiner darf raus, gehen draußen Wache" und wir mussten alle unsere Ausweise abgeben und er bestellte uns alle, am anderen Tag auf der Polizei zu erscheinen. Die Ukrainerin versuchte ihm klar zu machen, dass wir keine politischen Zusammenkünfte haben, zeigte ihm die Bibel und Glaubensstimmen, die wir in den Händen hatten und beschwichtigte ihn, dass er uns doch ließ in unsere Wohnung gehen. Wir bekamen auf der Polizei unseren Ausweis wieder, wurden aber gewarnt, nicht mehr zusammen zu kommen. Die ukrainischen Geschwister haben uns nun zu sich zur Versammlung eingeladen, nachdem sie ein großes Zimmer eingerichtet hatten. Unsere liebe Kapelle in der Horst-Wessel-Straße hatten sich die Polen gleich zurecht gemacht, weil sie nur wenig beschädigt war und hielten da ihre Gottesdienste.

Inzwischen war die Adventszeit herangekommen. Wie so ganz anders als im vorigen Jahr. Weil die Polen doch nichts in Ordnung brachten, hatten wir kein Licht und ich saß mit meinem Strickzeug auf niedrigem Bänkchen vor der offenen Ofentür und Opa Kantowski legte immer wieder fein geschnittene Holzspäne auf, die ein helles Feuerlein gaben, bei dem ich 12 Paar Fäustlinge, geringelt und einfarbig, große und kleine, gestrickt habe von Rebbelwolle aus meines Muttchens weitem Unterrock, die mir Opa angefeuchtet auf einem Brett gewickelt, schön glatt gemacht hatte. 10 Paar verkaufte ich für 70 - 80 Zlotys per Paar. Ein Paar eben fertige gefielen einem Polen, der vorgab, etwas kaufen zu wollen, sie aber dann nebst Opas warmer Joppe mitgehen ließ mit dreistem, freundlichem Wiedersehenswinken.

Und ich hätte das Geld so sehr nötig gebraucht, wollte zu Weihnachten etwas Mehl kaufen zum Striezelbacken. Unser Vorrat an Lebensmitteln war fast vollständig aufgebraucht. Opa trauerte auch um seine warme Joppe, die er immer früh morgens zum Wasserholen anzog. Er besorgte das Wasser zum Kochen für Tante Annchen mit, auch das Holz zum Feuermachen und bekam dann immer 2 dicke Schnitten Brot zum Frühstück, wovon er mir noch manchmal etwas abgab, wenn ich nichts mehr hatte. Wir hatten uns nun schon daran gewöhnt, nur zweimal am Tage zu essen, morgens nicht so früh, zwischen 9 und 10 Uhr, unsere Wassermehlsuppe mit etwas Brot und nachmittags vorm Dunkelwerden, Kartoffeln mit Grütze oder wenn ich etwas Öl oder Fett noch habe, auch eine Soße mit Zwiebeln. Das war meistens das Sonntagsessen dann. Wir kamen dabei aus, wenn wir früh zu Bett gingen. Man muss nur nicht an Essen denken, wenn man nichts hat. Milch oder gar Fleisch und Eier kannten wir gar nicht mehr. Und das trockene Schwarzbrot schmeckte köstlich, immer nach mehr.

Tante Annchen hat uns in der Adventszeit öfters abends zu sich nach oben eingeladen. Da saßen wir dann mit unseren Strickarbeiten gemütlich um die kleine Petroleumlampe, die sie in einem Keller gefunden hatte, sangen Weihnachtslieder und Tante Annchen hat aus alten Wahrheitszeugen und Friedensboten, auch Büchern vorgelesen, manchmal bis 10 Uhr und dann sagt sie, jetzt werdet ihr aber Hunger haben, brachte einen Teller voll Schmalz- oder Sirupstullen und den heißen Kaffee, der unter der dicken Wollhülle auf dem Herd stand und es ging ans Schmausen. Nach gemeinsamer Abendandacht gingen wir dann dankbar zur Ruhe und es schlief sich doch schneller ein, als mit hungrigem Magen.

Ich fragte Annchen öfter wie ihr das möglich ist. Dann erzählte sie mir, dass die inzwischen verstorbene Frau Meißner, die sie bis zu ihrem Heimgang gepflegt hat, ihr noch ein nettes Päckchen Geld ausgehändigt hat, das ihr Mann für verkaufte Silber- und andere Wertsachen erhielt, die er anfangs in verlassenen Häusern vorgefunden hat. Ja, er war eben Kaufmann. Ich war ja so dumm, dass ich auf so etwas nie gekommen wäre, ließ mir auch alles, was ich selbst noch hatte, von den schlauen, hinterlistigen Polen wegstehlen. Aber der treue Vater im Himmel hat mich doch nicht verlassen und solchen Hunger, der richtig wehtut, kannte ich auch noch nicht.

Ich habe immer gern und viel gesungen, auch jetzt in der Schreckenszeit mir selbst, und anderen zum Trost. "Wenn der Herr die Gefangenen Zions erlösen wird," "Der Herr ist mein getreuer Hirt" und andere Psalmen und Heimatlieder. Wenn Tante Annchen mich mal einen Tag nicht singen hörte, kam sie meist mit einem Stück Brot oder ein paar Kartoffeln runter und sagte: "Du hast gewiss nichts mehr zu essen, denn ich habe dich heute noch nicht singen hören." Opa Kantowski sagte auch öfter, wenn wir hungrig zu Bett gehen mussten: "Wir werden ja doch verhungern müssen". Aber ich bleib dabei, wir sind in Gottes Augen mehr, denn viele Sperlinge und ermahnte ihn, nur auch vertrauend zum Vater im Himmel zu beten. Er sagte, dass er nur das Vaterunser beten kann und tat es denn auch nach meinem Abendgebet.

Am 23.12., dem Tag vor dem Christfest, ging ich zu einer freundlichen Polenfrau, die farbige Flickwäsche abliefern und wurde plötzlich aufmerksam auf Hammerschläge in einer Fabrik, an der ich vorbei ging. Ganz blitzartig durchzuckte es mich, da gehe hinein. Im Kontor fragte ich einen Herrn der deutsch verstand, ob er vielleicht einen alten Werkmeister, der eine Maschinenfabrik geleitet hat, beschäftigen möchte (da war nämlich mein alter Opa). Er willigte sofort ein. Nun war Opa ganz aufgeräumt, rasierte sich fein, ich verschnitt ihm noch die Haare, da machte er solch fröhliches Gesicht, dass man ihm die 78 Jahre noch gar nicht ansah.

Von meiner Polenfrau hatte ich auch etwas zum Essen mitgebracht, das gab neuen Lebensmut, so dass wir hoffnungsfroh zur Ruhe gingen. Schon viel zu früh ging Opa mit gefüllter Feldflasche und einigen Stullen stolz zur Arbeit. Ich war gerade noch beim Saubermachen, hatte mein Bett, das nur noch aus drei zusammengehefteten Kissen bestand, frisch mit dem letzten, am Abend gewaschenen und am Ofen getrockneten Bezug überzogen und freute mich nun richtig auf Weihnachten. Da höre ich mit einmal im leeren Zimmer nebenan solch verdächtiges Geräusch und im nächsten Augenblick stehen 2 halbwüchsige Polenbengels vor mir, grinsen ganz freundlich, setzen sich und zünden sich jeder eine Zigarette an. Lassen dann ihre Augen im Zimmer suchend umhergehen.  Während ich noch beim Haarkämmen bin, raffen sie mein letztes Bettstück und laufen damit raus. Ich hielt noch einen Zipfel fest und schrie laut um Hilfe, aber bis mich jemand hörte, waren die Räuber schon durch den Garten entlaufen.

Tante Annchen und ich vernagelten nun wieder das Fenster, wodurch sie ins leere Zimmer eingestiegen waren und schoben einen großen Schrank davor, aber die Banditen kamen ja auch durch die kaputten Kellerfenster, weil wir die Haustür gut versichert hatten. Nun kamen mir doch die Tränen, wie ich auch noch in der Küche sah, dass sie den Schrank revidiert hatten, das letzte bisschen Zucker aus dem Näpfchen und die 2 kleinen Äpfel, die unsere Weihnachtsgabe sein sollte, aus der Kaffeekanne, in der ich sie versteckt hatte, genommen hatten. Sollten wir gar keine Weihnachtsfreude haben? Tante Annchen brachte mir eine schöne dicke Wolldecke mit Stempel, eine deutsche Militärdecke, die sie unter Trümmern eines ausgebrannten Hauses gefunden und sagte: "Du sollst nicht frieren und auch nicht hungern, indem sie mir noch ein Körbchen mit Kartoffeln, drei Zwiebeln, 1 Fläschchen Speiseöl und obenauf noch 2 Pfefferkuchen überreichte. Ich fiel ihr um den Hals und dankte ihr von Herzen und sie hat mich dann noch mit Opa zur Weihnachtsfeier um 7 Uhr abends eingeladen. Opa kam um 3 Uhr ganz stolz von seiner Arbeit heim mit 20 Zlotys und 2 Weißbrotstrietzeln mit Mohn bestreut.

Ich empfing ihn mit schöner Kartoffelsuppe mit Zwiebeln eingebraten, aber er wollte doch durchaus noch seinen selbstverdienten Strietzel anschneiden und ich kochte noch Kaffee dazu und so feierten wir beide glücklich und dankbar schon Heiligabend. Er erzählte mir, dass seine Arbeit in der Fabrik nicht schwer sei, vorläufig wird nur erst das ganze eingerostete Werkzeug geputzt und gebrauchsfertig gemacht, nur kann man dabei nicht warm werden im kalten Raum, aber einige Wochen will er es schon aushalten bei 20 Zlotys pro Tag und 2 Broten pro Woche. In froher Weihnachtsstimmung gingen wir rauf zu Tante Annchen, bei der die anderen Hausbewohner mit den Kindern schon versammelt waren. Froh erklangen unsere Weihnachtslieder, während der Tannenstrauß auf dem Tisch mit den 4 selbstgemachten Lichtlein (aus kleinen Stümpfchen) solch traulichen Schein verbreitete. Annchen las die Weihnachtsbotschaft vor und betete, die Kinder sagten ihre Verslein und wir haben noch eins ums andere der schönen Weihnachtslieder gesungen. Fast war es wie früher und doch, und doch. Kein Gruß von unseren Kindern und sonstigen Verwandten. Ob sie wohl noch leben, und wo? Unser Vater weiß es und unter seinem allmächtigen Schutz in seiner großen uns allumfassenden Liebe und Gnade wollen wir still vertrauend ruhen und glücklich und dankbar ihn auch in der Trübsal suchen und ehren. An den Feiertagen haben uns auch die Feinde nicht belästigt.



Weihnachten 1945 

Es wurde aber gleich nach dem Fest grimmig kalt, sodass die Fenster, die doch ziemlich undicht waren, ganz dick befroren. Der Ofen, in dem das Feuer nicht ausging, strahlte wohlige Wärme aus, aber aus dem Haus durfte man sich nicht raus wagen, zumal wir alle 4 Familien nur noch einen Mantel hatten, den aber die junge Frau Krause, die täglich zur Arbeit ging, anziehen musste. Ich besaß nur noch eine ganz ausgescheuerte, verstopfte Strickjacke, die mir ein Pole auf vieles Bitten noch zurückgab, während er mit Muttchens guter, fast neuer Jacke und Mantel loszog. Auch die letzten Schuhe nahm er mir noch. Mit dünnen Segeltuchschuhen und Nacht- und anderer Jacke ging ich meine Strickarbeit für eine Polenfrau abliefern in den Mittagstunden, wo die Sonne doch schon etwas wärmte.

Eben bin ich über die wacklige Notbrücke des Elbingflusses gegangen, da tritt ein grinsender, etwa 15jähriger Polenbengel auf mich zu und stülpt mir eine schöne, echte Sealpelzmütze auf den Kopf, die er sich eben abnimmt und sagt: "Du nimm Damenmütze, für mich nicht gut." Ich dankte ihm lächelnd, schüttelte aber, als er sich etwas entfernt hatte, erst noch etwa drinsitzende Mitbewohner tüchtig raus. Dann ging ich durch die Trümmer der Wilhelmstraße nach dem Alten Markt zu, wo mich plötzlich zwei halbwüchsige Polenbengels anhielten, mir die alte Jacke aufrissen und mich nach Geld oder Wertsachen untersuchten in ganz gemeiner Weise. Ich hatte ja nichts bei mir mir als einen kleinen Beutel Kartoffeln, die ich für meine Arbeit bekommen hatte und schrie nun aus Leibeskräften um Hilfe. Sah auch gleich eine Russenpatrouille auf Rädern um die Ecke biegen, von denen einer den Polenbengels, die sich schnell hinter den Trümmern versteckten, nachsetzte, hörte Schläge und Geschrei und dann im Augenblick war er wieder neben mir, reichte mir ein paar gute, feste Lederschuhe, während er in schneller Fahrt den Kameraden nachsetzte. Es ging alles so plötzlich, dass ich kaum danken konnte, aber ich wusste, mein Vater hat Acht auf mich und bat ihn, den jungen Russen für seinen Liebesdienst zu segnen.

Zuhause mein Erlebnis erzählt, sagte Annchen, wir werden lieber immer zu Zweien gehen. Die Schuhe passten mir wundervoll, aber leider sollte ich sie nicht lange tragen. Schon in der nächsten Woche ließ eine Polenfrau, die sich durch den Keller eingeschlichen hatte sie mitgehen und auch meines Muttchens schöne schwarze Kittelschürze, die hinter der Tür hing. Ich bemerkte es erst später, wie sie ganz freundlich, unterwürfig mich in der Küche bei meiner Wäsche aufsuchte und einige Teller kaufen wollte, für die sie mir auch wirklich einige Zlotys gab. Wie ich ins Zimmer zurückkam wurde ich den Raub gewahr. Also wieder um ein gutes Andenken an mein Muttchen ärmer geworden. Opa Kontowski bekam dick angeschwollene Finger, mit denen er seine Arbeit in dem Frost nicht mehr tun konnte und wurde von der Fabrik entlassen. Er saß nun meistens ganz verzagt, den Kopf in den Händen, im Ofenwinkel. In einer Nacht hatten ihm durch den Keller eingedrungene Polen die dicke, warme Jacke, die er immer auf dem Fußende im Bett liegen hatte, gestohlen, ohne dass er es bemerkt hatte.

Nun konnte er sich kaum noch raus wagen. Ich ging ja mit Annchen noch wieder allerlei zusammensuchen und schusterte ihm wieder eine warme Joppe zurecht, auch Filzfäustlinge nähte ich ihm, denn das Wasserholen und Holzbesorgen war doch immer sein Amt und brachte ihm auch etwas Zerstreuung. Er war überhaupt recht gleichgültig in Bezug auf Körperpflege. Zum gründlichen Waschen jede Woche ein Mal musste ich ihm immer ernst  zureden und zum Wäsche wechseln. Weil er ein übles Darmleiden hatte, ging er immer mit leicht gelbem Pflaster auf dem Hosenboden rum. Ich war ja auch schon ziemlich abgestumpft, aber so ganz leicht wurde mir das Waschen und Flicken seiner Sachen nicht. Wiederum war er aber auch sehr dankbar, wenn ich ihm immer saubere Sachen zum Wechseln hinlegte und tat mir zuliebe, was er nur konnte.

So kam er einmal mittags mit glückstrahlendem Gesicht schnell aus der Nachbarschaft, wo er beim Holzhacken beschäftigt war, herüber und brachte mir 2 noch heiße Kartoffelpuffer zwischen Brotschnitten und sagte, er habe einen Teller voll bekommen. So teilten wir Freud und Leid. Wurden ja von den Polen auch für Eheleute gehalten und sie lachten ganz verschmitzt, wie ich es verneinte und hielten mich wohl für schlecht, aber Gott wusste ja in seiner Weisheit, warum er uns zusammenführte. Der alte Opa konnte nicht weiter und ich wäre wohl mutlos verzagt, ohne Pflichten, jemand zu umsorgen zu haben. Kartoffeln und Brot wurden jede Woche teurer. Das Pfd. Brot (ziemlich schwarz) kostete schon 40 Zlotys und musste die ganze Woche für uns Beide reichen. Opa hatte immer Hunger und ich auch, weil wir nur 2 Mahlzeiten am Tage essen durften. Morgens gegen 10 Uhr Wassergrütze und 1 Schnitte Brot dazu und zwischen 3 - 4 Uhr Kartoffeln mit Grütze dick zusammengekocht, meist ganz ohne Fett. Wenn  dann gegen Abend der Magen knurrte, gingen wir zu Bett. In der Ofenröhre stand zwar heißer Kaffee, aber wo Brot hernehmen. Da haben wir wirklich so ganz von Herzen immer die 4. Bitte gebetet und doch stöhnte Opa, wenn er nicht einschlafen konnte: "Wir werden ja doch verhungern müssen", was ich ihm immer auszureden versuchte. Sind wir nicht doch mehr, denn die Sperlinge?

Inzwischen war es März geworden und Frühjahrshoffnung erfüllte das Herz. Da die Sonne an manchen Tagen schon recht wärmte, wollte Opa sich auch zu den Aufräumungsarbeiten in den Straßen melden. Ging auch 3 Tage schon früh um 8 Uhr mit 2 Schnitten trocken Brot und heißer Kaffeeflasche los, kam aber schon, von einem mitleidigen Kameraden geführt, früher nach Hause als sonst und zwar als zu alt entlassen, weil er mehrmals zusammengesunken war. Den Verdienst sollte er sich am Sonnabend holen, kam aber ganz leer zurück. Nun saß er wieder mutlos in seinem Winkel am Ofen, wickelte mir Wolle zum Stricken, die er von alten unter Schutt gefundenen Sachen gerebbelt hatte, räumte die Keller immer wieder auf und besorgte Anmachholz.

An einem Morgen Mitte März (es schneite etwas), sagte, er werde nur gleich Wasser holen, sonst kommt noch mehr runter. Mit dicken Handschuhen und großen Holzschuhen strampelte er los und da fing es an zu schütten, als wenn Frau Holle alle Betten auf einmal ausschüttelte. Ich stand am Fenster und sorgte mich, weil Opa so lange blieb. Da kommt mit einmal ein großer Mann angestampft mit einem Sack auf dem Rücken, ganz weiß beschneit und fragte, ob ich Kartoffeln brauche. "Oh ja", sagte ich, "sehr nötig, habe keine einzigen mehr, aber auch keinen Pfennig Geld" und die Augen stehen mir voll Tränen. Er setzte kurz entschlossen den Sack, sagte: "Ich lasse sie ihnen, denn die Frau in ihrer Nachbarschaft, die die Kartoffeln bestellt hat, ist nicht zuhause und ich habe keine Lust, in dem Wetter noch einmal  die Last zurückzuschleppen. In 8 Tagen komme ich wieder und wenn sie dann Geld haben, werden sie mir die 25 Pfd. Kartoffeln schon bezahlen."

Ich hatte mich noch nicht von dem freudigen Schreck erholt, da kommt Opa wie ein Schneemann reingestampft, zieht ein Papier aus der Tasche und sagt: "Sehen sie doch mal, was da drauf steht, das gab mir eine Polenfrau sehr anständig in Pelz gekleidet und sagte, ich soll morgen bei schönem Wetter ihr Holz hacken kommen." Ja, drauf stand auf dem feuchten Papier rein gar nichts, aber beim Auseinanderfalten fiel ein 50 Zloty-Schein heraus, den wir anstarrten. Ich zeigte Opa nun noch die Kiste Kartoffeln unter dem Bett und da hätten wir uns fast umarmt, was ja nun aber doch nicht ging. Aber gleich schob ich einen Topf mit Kartoffeln in den heißen Ofen und es dauerte nicht lange, so labten wir uns an den wundervollen Pellkartoffeln in Salz getunkt und heißem Kaffee dazu. Die Zwischenzeit bis zum Garwerden benutzten wir zu unserer Morgenandacht und dankten unserem treuen Gott für seine Fürsorge.

Opa war ganz unternehmend geworden durch die Stärkung und wollte wieder in den Keller gehen, aufräumen. Ich wehrte ihm, er solle sich ausruhen, da er morgen zum Holzhacken gehen muss. Da fiel ihm ein, dass er gar nicht gefragt, wo die Frau wohnt. Ich sollte nun am Fenster aufpassen, wenn sie aus der Stadt zurück kommt und sie kam auch bald, dass ich ihr herzlich danken konnte, gab mir noch etwas vom eingekauften Weißbrot und sagte: "Für das Geld kaufen sie Brot," indem sie mir freundlich zuwinkte.

Inzwischen glänzte und flimmerte die Sonne auf dem zartweißen Schnee und in meinem Herzen strahlte sie auch, sodass ein Lob- und Danklied nach dem anderen mein kleines Zimmerchen erfüllte, während ich fleißig strickte. Gegen Mittag kommt Opa aus dem Keller rauf mit strahlendem Gesicht, in einem Arm ein großes Glas mit eingewecktem Schweinebraten, noch ganz fest zu, unbeschädigt, in der anderen Hand ein kleineres Glas mit Fett und noch eine Flasche Essigessenz. Ich frage: "Wo haben sie denn das her?" Er sagte: "Das ist mir selbst nicht klar, wo ich doch schon so oft aufgeräumt habe, wollte ich heute, wo die Sonne so hell nun schien, nochmals den großen Haufen Schutt aus der Ecke schaffen. Da fand ich in alten Wollsachen eingewickelt ganz unten diese schönen Sachen und nun machen sie mal ein anständiges Mittag, denn heute ist Feiertag, da essen wir dreimal." Gleich wollte er das große Fleischglas aufmachen, aber ich wehrte ihm: "Opa, dann werden wir beide krank, wo wir nun schon so lange Zeit ganz fettlos gegessen haben und ich wasche Ihnen dann nicht mehr die Hosen. Wir gehen nach der Stadt und sie werden sehen, dass ich dafür Lebensmittel für mindestens 14 Tage eintausche, wovon wir gesund bleiben."

Er musste damit zufrieden sein, weil er ja bei mir doch wohnte, ich die Frau im Hause war und wie ich zu Mittag nun eine herrlich duftende Zwiebelsoße machte zu den wunderschönen Kartoffeln, die er hauchdünn geschält hatte, machte. Da war er ganz zufrieden, setzte sich in seine Ofenecke und machte ein Nickerchen. Ich habe bei meinem Strickzeug immer Lob- und Danklieder gesungen, bis auf einmal Annchen runterkommt, um zu sehen, was eigentlich los ist. "Deine Hallelujas schallen ja immerfort durchs ganze Haus, du hast wohl was abzugeben?" Na sie freute sich mit mir und wir hatten alle eine Glaubensstärkung, die wir so dringend nötig brauchten, denn es stand uns schon wieder eine schwere Prüfung bevor.

Alle Hausbewohner, auch die Kinder bekamen die Krätze, durch die Russen und Polen eingeschleppt. Nie hätte ich geglaubt, dass diese schreckliche Hautkrankheit einem so entsetzlich zusetzen kann, dass man ganz am Leben verzagt. Oh, dieses furchtbare Brennen und Jucken, dass man Tag und Nacht keine Ruhe findet. 7 - 8 mal bin ich nachts aufgestanden, habe den ganzen Körper mit Salz-Essig-Wasser und anderem Zeug abgerieben, rohe Kartoffeln gerieben und auf die brennenden Arme gelegt. Gott unter Tränen ganz innig gebeten, mich noch mal von dieser Seuche zu befreien. Ich will ihm auch nie vergessen, zu danken. 1/4 Jahr lang hat es gedauert, bis wir wieder alle gesund waren, aber so elend geworden durch die qualvollen, schlaflosen Nächte. Zwei so niedliche Kinder starben, auch Oma Krause, trotzdem das russische Rote Kreuz uns schon Heilmittel gebracht hatte. Ich wurde erst heil, nachdem ich dem Rat der Nachbarin folgend wie sie, Schwefelblüte mit dem Essen genommen hatte.

Nun war es Frühjahr geworden und die Polen holten uns zur Arbeit, zum Gartenumgraben, der 2 Jahre festgetreten und ganz verkrautet war. Annchen sagte: "Komm nur mit, wenn du auch nicht viel tun kannst, wir bekommen wenigstens fettiges Essen, ohne das kannst du nicht mehr hochkommen." Sie war ja 10 Jahre jünger und hat mich auch immer geschont und doch war ich wie zerschlagen und zum Umfallen todmüde mit meinen 69 Jahren. Nie in meinem ganzen Leben habe ich so schwere Arbeit tun brauchen. Hatte mich bei dem kalten Wind auch so stark erkältet, dass ich eine sehr schmerzhafte Gallenkolik bekam, die mich 3 Tage ans Bett fesselte. Nichts konnte ich essen. Opa weinte und ich flehte nur noch um Erlösung. Frau Neumann, meine treue Stubennachbarin, deren 3 Kinder ich oft versah, wenn sie in Arbeit ging, brachte mir am 3. Tag Hafergrütze und fütterte mich mehrmals am Tag und ich erholte mich noch wieder, trotzdem ich viel lieber heimgegangen wäre, in die Wohnungen des Lichts, wo mein Herzmütterlein mir vor 1/2 Jahr voranging.

Nachdem ich wieder etwas gekräftigt war durch die liebende Fürsorge aller Hausbewohner, besuchte ich die Gräber meiner Lieben und bepflanzte sie mit blühenden Osterlilien und Primelstauden, die ich aus den halb verschütteten Hausgärten ausgrub. Auf dem Grabstein meines lieben Mannes stand ja auch schon mein Name. Ach könnte ich doch auch schon dort ausruhen von allem Weh und Elend des schrecklichen Krieges. Werden wir überhaupt noch länger diese Schreckensherrschaft der Russen und Polen aushalten? Täglich sterben viele Menschen in unserer Nähe an Entkräftung, am Hungertyphus, besonders die alten Leute. Oh diese Ungewissheit über unsere Lage. Nie hören wir etwas von unseren Lieben, ob sie noch am Leben sind? Öfter gehen wir auf der Postsammelstelle nach Briefen fragen, die da haufenweise liegen. "Nix da," ist die Antwort und nachher schwimmen sie auf dem Elbingfluss umher oder werden säckeweise verbrannt. Herr und Frau Rehrmann haben einmal Nachricht von ihrem Sohn bekommen, der sie auffordert, nach dem Westen zu kommen und sie entschließen sich mit Herrn und Frau Reise mit einem guten Polen im Auto mitzufahren. Ja, sie können ihn noch gut bezahlen. Ebenso haben schon viele, die noch Geld haben, die Stadt verlassen. Tante Annchen tröstet mich immer, dass auch für uns die Stunde der Erlösung kommt.

Wir nähren uns jetzt hauptsächlich von Wildspinat, jungen Nesseln und Girsche zusammengekocht mit etwas Mehl und wenn möglich Milch angerührt. Es schmeckt prächtig. Wir essen ganze Schüsseln voll aus und sind doch nach einer Stunde wieder hungrig. Opa sagt: "Wir werden ja doch verhungern müssen," aber ich rede es ihm immer aus: "Wenn Gott das wollte, hätte er uns schon längst verhungern lassen. Nein, er wird uns durchbringen." Ich stimme wieder einmal an "Harre meine Seele usw." Opa brachte einen großen Korb voll Kartoffelschalen, die er von den Russen bekommen hatte, die in unserer Nähe in einem Hause als Wachmannschaften lagen. Ich suchte die besten aus, wusch sie mehrmals und trieb sie gekocht durch ein Sieb. Da gab es mit Zwiebeln und Petersilie gewürzt eine feine Kartoffelsuppe. Wie die Wachmannschaften plötzlich abzogen, sehe ich, viele Frauen schnell in das Haus laufen. Ich flink nach und erwische auch noch einen Topf mit Erbsen und etwas Grütze, Opa brachte noch Kartoffeln, die aber meistens verfault waren. Na, wir waren ja nicht verwöhnt, freuten uns vielmehr über unseren Vorrat

Tante Annchen kommt runter und erzählt mir die betrübende Neuigkeit, dass wir Miete zahlen sollen für unser Zimmer. Da kommt auch schon ein polnischer Beamter, misst die Zimmer, schreibt unsere Namen auf und den Preis: "200 Zlotys" in 3 Tagen zu zahlen, sonst raus. Ja, woher Geld nehmen? Ich gehe am 3. Tag und schildere unsere Lage, dass wir kein Geld haben, um nur Brot zu kaufen. Der Beamte, der deutsch verstand, war mitleidig und sagte: "Du alt und krank, Mann auch krank und starr, werdet bald ausgewiesen, dein Zimmer zu klein, kannst drin bleiben. Frau Meißner, die Annchen solange betreut und gut gepflegt hatte, war inzwischen auch 89jährig lebensmüde heimgegangen, und wir begruben sie an der Seite ihres Gatten in einem Sarg vom Unterteil eines Kleiderschrankes, den sie sich selbst hatte machen lassen, denn sie hatte durch die vielen Wertsachen, die ihr Mann zusammengetragen hatte, immer noch Geld auch zu guter Pflege bis zu ihrem Tode.

Mein armes, so ganz selbstloses Mütterlein, das ich so elend in Lumpen gewickelt begraben musste, strahlte dort im ewigen Licht wohl aber noch heller, reiner, ganz so, wie ich in einem so wunderschönen Traum 14 Tage nach ihrem seligen Heimgang sah. Eine sonnenbestrahlte Waldwiese sah ich von rot leuchtendem Buchen umsäumt, an deren einem Stamm mein Mütterlein lehnt, ganz verschämt nieder schaut, weil Tante Horn ihr ein weiß glänzendes Kleid überzieht und eben bemüht ist, ihr eine kunstvolle Gürtelschleife zu binden, in dem sie vor ihr kniet. Sie wehrt ab, aber Tante Horn sagt: "Lass nur, dich will heut der Vater ehren." Da kommen auch schon den Buchengang entlang lauter würdige Gestalten in Amtstracht. Voran Vater Hinrichs, verbeugt sich vor meinem Muttchen und dankt ihr für alle Liebesdienste, die sie ihm getan, wenn er in ihrem gastlichen Hause weilte. Wie sie abwehrte, sagte er: "Du hast mir immer meine kranken Füße bepflastert und so liebliches, selbstgebackenes Brot vorgesetzt." So kamen sie einer nach dem anderen der vielen Gottesboten, denen mein Muttchen in selbstloser, liebender Art gedient hatte, wenn sie in unserem Haus gasteten: Prediger Karl Meyer, F. W. Herrmann, Kraldorfer, Schirrmann, Droste, Piepereit, Klempel, Gritzki und später auch Prediger Horn und immer nahm es gar kein Ende, und alle dankten meinem Muttchen für ihre selbstlosen Liebesdienste und sie wusste gar nicht, wo sie hingucken sollte. Ich wollte zu ihr treten und sie in meine Arme nehmen, da erwachte ich , war aber den ganzen Tag so beglückt durch den wunderschönen Traum und bitte seither Gott mehr denn je, mich doch auch so demütig und selbstlos zu machen, wie mein herzliebes Mütterlein es war.

Opa hatte die Blumenbeete vor unserem Haus umgegraben und aus anderen Gärten an verbrannten Häusern Rosen und andere Blumenstauden darauf gepflanzt und ich noch 2 Gemüsebeete besät. Auch hielten wir vor dem Haus und drinnen immer schön Ordnung. Hatten ein Stück Gardine vor dem Fenster. Vor dem Chaiselongue, das mir Herr und Frau Rehrmann als Lagerstatt vererbten, wie sie Elbing verließen, stand auf dem alten Teppich ein netter runder Tisch mit bunter Decke, meistens ein Blumenstrauß darauf, Opas großer Korbstuhl am Fenster und ich hatte mir auch noch einen ziemlich guten gesucht und auch ein Nähtischchen. Da sah es ganz nett bei uns aus. Kleiderschrank brauchten wir ja auch keinen mehr, weil wir nichts mehr besaßen, als was wir auf dem Leibe trugen. Wenn ich mir aus verschütteten Häusern wieder allerlei Sachen zusammengesucht, gewaschen und von 12 - 14 Stücken ein Kleid für Sonntag zurecht geschneidert hatte, nahmen es mir die verstohlenen Polen meistens gleich wieder fort. Immer wieder kamen sie oft ganz freundlich, wollten nur Wohnung besehen, sagten dann: "Zu klein." Aber während sie sich unterhielten, hatte die Frau dann schon ihre Augen in alle Winkel gehen lassen, wo sie hinter alten Lappen noch etwas vermutete und ließ alles nur irgend brauchbare mitgehen.

Zuletzt drangen drei betrunkene Polen in einer Sonntagnacht ein und weil sie sonst nichts fanden, nahmen sie mir das letzte Stück Brot und ein Streifchen Speck fort, das unser Sonntagmittag sein sollte. Oh, diese Bande!, und ich musste ihnen auch noch mit den Holzspänchen, die Opa zum Feuermachen geschnitzt hatte, leuchten, weil sie kein Licht hatten. Alle Tage baten wir Gott immer innig um Erlösung und endlich war sie näher, als wir gedacht.

Ein polnischer Beamter kam eines Mittags, am 31. Juli 1946 und brachte nach oben Frau Frost, die bei Annchen wohnte, einen Auswandererschein, wobei er auch meinen Namen nannte. Ich rief laut "hier!" und hielt bald darauf den Schein in zitternden Händen. Da stand drauf, dass Opa Kantowski und ich mich am anderen Morgen, früh um 6 Uhr am Hafen, ein Stück am Elbing entlang, in der Nähe von Englisch Brunnen, mit unserem Gepäck und Lebensmitteln für 14 Tage, Ausweis usw. einfinden sollten. Ja, wo sollte ich Lebensmittel hernehmen? Ich ging zu den ukrainischen Geschwistern, bei denen wir uns sonntags immer zur gemeinsamen Andacht versammelten. Die gaben mir 1 Vierpfundbrot, 1 Büchschen Fleisch und ich durfte mir noch im Garten Stachel- und Johannisbeeren pflücken, von denen ich, zuhause angekommen, Suppe kochte. Eine Polenfrau aus der Nachbarschaft wollte abends mein Chaiselongue holen und brachte mir dafür Kartoffeln, etwas Grütze, Fett und einige Löffel Maismehl, von dem ich einen Topf Pudding zum Mitnehmen kochte (natürlich nur mit Wasser), aber etwas Zucker bettelte ich ihr noch ab zum Suppesüßen.

Unser letztes Mittagessen war dann ganz feudal, Kartoffeln mit Grütze, sogar mit etwas Fett drin. Ich hob noch einen Kochtopf voll zum Mitnehmen auf, auch den Pudding und die Beerensuppe. Das Brot füllte gerade den kleinen Brotkasten aus, 2 Messer und Löffel hatten auch noch Platz und unter dem Brot fest eingewickelt hatte ich 2 Sparkassenbücher. Sonst hatten wir ja fast nichts zu packen. Opa hatte einen kleinen Rucksack mit etwas Wäsche, Handtuch und Seite und etwas Lebensmittel. Ich hatte den Korb mit Brotkasten und den anderen Esswaren und eine kleine alte Steppdecke, in die ich 2 Kopfkissen und die Militärdecke eingerollt hatte, auch Muttchens Sparkassenbuch in einem Nähkasten mit drin, alles mit starkem Strang gut verschnürt, so zogen wir aus am anderen Morgen vor 4 Uhr, denn die Russen hatten ja die Uhren 2 Stunden früher gestellt. Geschlafen hatten wir fast gar nicht mehr die letzte Nacht in der Heimat, nur im Stuhl sitzend und auch vor Aufregung nicht.

Tante Annchen fuhr Frau Frosts Sachen auf einem kleinen Handwagen und ließ mich meinen Korb auch raufstellen, wobei ich dann hinten schob und mein Rücken so müde wurde vom ganz gebückt gehen. Wie die Kinder Israel aus Ägypten zogen wir aus, auch so hoffnungslos traurig, aber wir sahen die Sonne aufgehen auf unserem Wege durch Schutt und Asche und Trümmern der Heimatstadt und so schön und strahlend stieg sie auf, als wollte sie uns zurufen: "Seht nur auf mich, ich leuchte euch!" Annchen machte mich darauf aufmerksam und wir beide sangen leise miteinander "Oh Jesu, meine Sonne, vor der die Nacht verfleucht." Nach mehrmaligem Ausruhen und Begrüßen mit anderen Flüchtlingen, die demselben Ziel zustrebten, erreichten wir endlich den Anlegeplatz am Elbingfluss, wo schon viele Flüchtlinge, meist Mütter mit kleinen Kindern und alte, kranke Leute sich mit ihrer geringen Habe gelagert hatten und von der Sonne bewärmen ließen. Wir taten es ihnen gleich, weil von den polnischen Herren Beamten noch nichts zu sehen war.

Tante Annchen nahm von uns Abschied mit recht schwerem Herzen, denn sie musste ja noch unter den Polen bleiben als gute Arbeitskraft, erst 58 Jahre alt. Mit diesem 1. Transport durften nur die Alten und Kranken mit. Die faulen, schlampigen, versoffenen Polen, die alles gute Land brach liegen ließen, dass das Unkraut alles mannshoch überwucherte, besannen sich, wenn sie mal nüchtern wurden, dass sie vielleicht doch im Winter hungern müssten, wenn sie im Sommer nichts bebauten und holten dann alle irgend kräftigen Frauen zur Gartenbestellung. Das war mehr als Tierquälerei in dem festgetretenen Boden, wo das Unkraut 2 Jahre lang gewuchert hatte. Die Abwässerungsgräben waren alle voll stinkendem Wasser. Die Wiesen und flachen Landflächen überschwemmt  und alles wimmelte voll Ungeziefer. Kein Stückchen bebautes Land, kein Erntefeld, keine Kuh auf der Weide sahen wir hier außerhalb der Stadt. Oh wie öde und trostlos alles überall, nur die Greuel der Verwüstung. Ja und es war doch Erntezeit, bald der 1. Juli, und wir armen Heimatlosen hockten und lagen im hohen Unkraut in der glühenden Mittagsonne und warteten, was mit uns geschehen sollte. Unsere Reisezehrung wurde dabei weniger, besonders der Pudding und die Beerensuppe waren schon aufgegessen.

Endlich gegen 2 Uhr erschienen einige polnische Beamte, ließen die großen Tore einer umzäunten Baracke immer 5 Minuten öffnen, bis dann ein Schub Flüchtlinge sich durchgedrängt hatte, deren Schein von bewaffneten Posten revidiert wurde und die dann die Tore wieder schlossen und sich mit aufgepflanztem Bajonett vorstellten. Wer ihnen Zigaretten oder Schnaps gab, den ließen sie auch gleich noch durch. Wir Ärmsten, die wir nichts hatten, wurden erst nach 12-stündigem Warten gegen 5 Uhr durchgelassen, in den Baracken von grinsenden Polen entlaust, das Gepäck gewogen (na unseres war nicht zu schwer) und dann in die bereitstehenden 5 zusammengekoppelten Frachtkähne, die einem großen Schlepper angehängt waren, eingeladen wie das Vieh, nur dass kein Strohlager war, worauf wir uns hätten setzen oder zur Nacht legen können. Dazu war ja auch kein Platz, weil wir recht eingepfercht mit eingezogenen Knien nur auf unserem Gepäck hocken konnten. Opa war nicht von meiner Seite gewichen und entdeckte auch noch ein Plätzchen, wo wir den Rücken gegen die Bretterwand lehnen konnten.

Wie wir endlich in Fahrt kamen, fragten viele Frauen: "Wo geht es nun eigentlich hin?" Einige antworteten "nach Russland", andere "nach Danzig erstmal" und ein Mann wusste zu erzählen, dass wir von den Briten angefordert seien und unter deren Schutz stehen. Wir waren ja so gleichgültig, so abgestumpft schon, dass uns alles egal war, nur raus von den Polen. Einige Frauen mit müden, weinerlichen Kindern auf dem Schoß fingen an zu singen, während sich die Schiffe weiter von unserer Heimatstadt entfernten: "Nun ade, du mein lieb Heimatland" und "Muss i denn, muss i denn zum Städtele hinaus." Wie die liebe Sonne nun so rotgolden ins Wasser tauchte, stimmte ich an: "Goldne Abendsonne usw." und viele sangen alle Verse mit, auch nachher noch "Meine Heimat ist dort in der Höh" und "Heimatland, Heimatland, oh wie schön bist du." So trösteten und ermunterten wir uns untereinander und fanden uns auch zusammen, die wir Pilger nach der ewigen Himmelsheimat waren. Ehe es ganz dunkel wurde, bekamen wir noch alle durch das britische Rote Kreuz etwas Verpflegung, weil wir ja auch in die britische Zone nach Holstein geschickt werden sollten, wo wir es gut haben sollten. Plötzlich, wie es ganz dunkel war, hielten alle Kähne bei einer Brücke und es wurde uns gesagt, dass es morgen früh weitergeht.

Also versuchten wir im Hocken zu schlafen so gut es ging. Die Nacht war sternklar, aber lau und bald graute ja auch der Morgen. Gegen Mittag bekamen wir Danzig in Sicht, wo früher die Dampferfahrt nur 3 Stunden dauerte. Beim Ausladen war immer der Stärkste der Erste, also kamen Opa und ich ziemlich nach hinten in den Trupp, den die gräulichen Polen mit Kolbenstößen in die Knie von hinten vorwärts trieben in sengender Mittagshitze wohl 1 Stunde lang bis zu einer ausgebrannten Wiese als Lagerplatz ganz ohne Schatten. Todmüde sanken wir auf den verbrannten Rasen nieder und schliefen mit einem Tuch über die Augen gedeckt ein. Zerlumpte, schmutzige Polenweiber gingen durch die Reihen und boten Brötchen, Wurst usw. an, auch waren Buden aufgestellt, wo es etwas zu trinken gab. Opa hatte auch großen Durst und ich gab ihm von den gedörrten Brotwürfeln, die ich einmal von einem mitleidigen Russen bekommen hatte, denn wir hatten ja keinen Pfennig Geld. Vor Dunkelwerden mussten wir uns zu Vieren zum Abmarsch aufstellen, wieder eine weite Strecke wandern, bis wir in die schmutzigen Viehwagen eingeladen wurden, immer 50-60 Personen mit ihrem Gepäck, worauf man hocken konnte, diesmal ich mit Opa mehr in der Mitte des Wagens, uns gegenseitig den Rücken stützend.

Wenn wir nun bald dachten, ein Stück weiterzukommen, hatten wir uns geirrt, denn der Zug blieb plötzlich auf offener Strecke stehen. Die polnischen Beamten reichten in jeden Wagen 1 Eimer für unsere Notdurft und machten die Türen zu. Ein ziemlich beherzter alter Mann bedeutete ihm aber, dass wir dann am Morgen alle tot sind in der Hitze und der Luft zum Schneiden, worauf er eine Tür aufmachte und sich mit aufgepflanztem Bajonett davor stellte. Wie ihm aber einige alte Männer Schnaps und Zigaretten gaben, nahm er ihnen sogar den vollen Eimer ab und schüttete ihn aus, damit er dann wieder von Hand zu Hand wandern konnte. Auch diese schreckliche Nacht ging vorüber und wir konnten uns, nachdem uns die Männer rausgeholfen hatten, an der Pumpe waschen und Luft schnappen. Nun ging es auch endlich weiter nach Stettin zu, aber wieder bleib der Zug zur Nacht auf freier Strecke stehen. Dasselbe Manöver. Anderntags kamen wir in Stettin an, das eigentlich auch nur eine Trümmerstätte war.

Die allerschwächsten Leute wurden in Lastautos mit ihrem Gepäck verstaut und wir anderen wie eine Herde Vieh mit viel Geschrei und Kolbenstößen auf einen großen, schattenlosen Schulhof getrieben, wo wir viele Stunden in der Sonnenglut stehen und hocken mussten, bis wir in Gruppen eingeteilt wurden zu 50 Personen, 1 Führer oder Führerin bekamen, an die wir uns zu halten hatten. Da standen und hockten wir nun an 5000 Menschen, Pommern, die noch viel Gepäck hatten und gut genährt aussahen, Schlesier, die wir nicht verstehen konnten, die aber gegen uns noch wohlhabend aussahen und dann der elendeste Zug aus Ost- und Westpreußen. Wir selbst wussten das kaum, wenn es uns die anderen nicht immer gesagt hätten, dass wir nur noch in Lumpen gehüllte, wandelnde Leichen waren. Ganz abgestumpft waren wir durch die lange Schreckensherrschaft der Russen und Polen. Endlich gegen Abend bekamen wir das erste warme Essen nach 8 Tagen, Kartoffeln und Grütze, was wir auf unserem Gepäck auf der Erde hockend auslöffelten, nachher noch warmen Kaffee und ein halbes Brot pro Kopf, was aber bis zum nächsten Abend reichen sollte.

Unsere zugeteilte Führerin ging dann mit uns in den halb ausgebrannten Häusern Unterkunft für die Nacht suchen, wo ich es wieder in besonderer Weise erfahren durfte, wie gnädig mein Vater im Himmel für mich und Opa vorgesorgt hatte. Ich wurde mit einer größeren Familie aus Elbing, Geschw. aus unserer Gemeinde, Großeltern mit ihrem jüngsten, lahmen Sohn und vier Enkelsöhnen, einer noch klein und weinerlich, in eine kleine Küche, oben ihm Haus gewiesen, wo wir uns zum ersten Mal auf unsere, auf den Fußboden gebreiteten Decken ausstrecken konnten und mit dem Rucksack und dem Korb bald fest einschliefen. Doch zuvor suchte ich noch meines verstorbenen Mannes neues Testament vor und las uns den 91. Psalm vor, den ich ja auch im Dunkeln fast auswendig sagen konnte und wir sangen auch noch wieder: "Harre meine Seele usw.". Drei Tage blieben wir dort in Frauenburg bei Stettin, wo wir morgens und abends Kaffe und 1 1/2 Brot pro Tag bekamen und mittags eine Wassersuppe mit einigen Kohlblättern und wenigen Stückchen Kartoffeln drin schwimmend bekamen. Opa ging mit dem lahmen Jungen noch Holz hacken für die Küche und brachten die beiden dann noch im Kochgeschirr etwas für die stets hungrigen anderen Jungen mit.

Ich ging auch mit anderen Frauen zum Kartoffelschälen. Wir durften uns aus dem Abfall noch kleine Pellkartoffeln aussuchen, die ich dann gegen Abend in der Küche abkochte. Unser Gepäck mussten wir mit unserem Namen und der Gruppennummer versehen, denn es hieß, dass es bald weitergeht, weil neue Transporte von Flüchtlingen ankamen, abgeben. Das geschah schon am anderen Tag, wo wir uns gegen Mittag, aber noch ohne Mittagessen, gruppenweise zum Abmarsch aufstellen mussten. Zuerst wurden wir noch wieder entlaust. Na zum Glück hatte weder Opa noch ich eine von den Biestern gehabt. Dann wurde auch das Gepäck  noch revidiert, wobei ich sehen musste, wie brutale Polenbeamten einer Frau, die recht starkes Haar hatte, alles aufrissen und durchwühlten und wirklich darin noch Geld versteckt fanden. Da war ich froh, dass mein reiches Haar durch die Krätze fast alles ausgegangen war. Mir nahmen sie nur Omachens Sparbuch, das ich im Nähkästchen versteckt hatte, fort. Die paar Zlotys, für die ich noch für Opa und mich ein Brötchen kaufen wollte und in dem Gedränge nicht an den Verkaufstisch kam, reichte ich gleich hin. Das polnische Geld wurde allen abgenommen, aber die meisten hatten schon dafür Brot, Butter, Wurst, sogar Räucheraale und Kuchen gekauft. Nur ich hatte wieder nichts ergattern können, war zu scheu, um mir Ellbogenfreiheit zu verschaffen.

Zu Vieren mussten wir uns mit dem Gepäck aufstellen. Ich bat Opa, auf mein Gepäck zu achten und meinen Platz frei zu halten und lief schnell noch in unsere kleine Küche rauf, wo die auf dem Herd aufgestellten Kartoffeln gar geworden waren. die ich mir beim Schälen wie die anderen Frauen in die Jackenärmel gesteckt hatte. War es gestohlen? Ich hatte wirklich Hunger. Und wie freute sich Opa, als ich auf dem Bahndamm, wo er und die vielen schon angekommen, lange warten mussten, ich meinen heißen Kartoffeltopf aus der warmen Umhüllung packte und ihn zum Mittagessen einlud. Das Büchschen Fleisch hatte ich auch warm gemacht raufgeschüttet, denn meinen Korb trug ich immer selbst bei mir. Richtige lebhafte Kulleraugen bekam Opa, wie wir beide unseren Kochtopf leer gelöffelt hatten und ich vergaß meine Schmerzen in den Knien, wo ich die letzten Kolbenstöße von einem Polen von hinten rein bekam, weil ich mich verspätet hatte.

Nachdem wir noch eine gute Stunde an der Bahnböschung gesessen hatten, kam unser Zug und wir wurden wieder in Viehwagen zu 50 - 60 eingeladen, die aber diesmal sauber gefegt waren. Wir hörten auch, dass wir nun bald in die britische Zone kommen werden und merkten es auch, weil wir durch die offen gelassene Tür bestellte und erntereife Felder sahen und auch kleine Viehherden auf den grünen Weiden. Ein Anblick, den wir 2 Jahre lang ganz vermisst hatten. Weit ging die Fahrt wieder nicht. Bei Dunkelwerden blieb der Zug wieder auf offener Strecke stehen. Zu beiden Seiten war dunkler Tannenwald und es wurde uns doch etwas unheimlich und ängstlich zu Mut, wie wir nun noch hörten, dass die Beamten des Zuges und die Bewachung durch Engländer abgelöst würden und die Polen noch eine großen Raubzug in der Nacht verüben wollten. Die Türen wurden geschlossen, die wenigen Kerzen gelöscht und während wir uns ganz mäuschenstill verhielten, hörten wir, wie die Polen an die Wagen vor und hinter uns mit Gewehrkolben donnerten: "Aufmachen, aufmachen!" An unseren Wagen wagte sich niemand ran. Ob sie wohl die Engelwacht sahen, um die ich und viele Gläubige unter uns gebetet hatten? Ich sah sie jedenfalls und wir dankten Gott beim Morgengrauen, wie alles still wurde, für seinen allmächtigen Schutz. Oh, es ist doch etwas Herrliches, Gotte Kind zu sein und sich bei ihm ganz geborgen zu wissen.

Unter englischem Zugpersonal ging die Fahrt viel schneller und wir konnten uns an der schönen Landschaft, Wald und Seen und fruchttragenden Feldern, saftigen Wiesen mit größeren Viehherden erfreuen, wo wir so lange nichts als den Gräuel der Verwüstung gesehen hatten. Nachts 12 Uhr kamen wir in dem großen Durchgangslager Segeberg an, wo viele große Holzbaracken und Zelte aufgeschlagen waren. Es mutete uns wie ein riesiges Dorf an. Gruppenweise mussten wir erst wieder, nachdem uns das Gepäck zur Aufbewahrung abgenommen war, zur Entlausung und dann zur ärztlichen Untersuchung antreten, aber dann ging es zum Essenempfang und oh Wunder, oh Wonne, wir bekamen mitten in der Nacht warmes Mittagessen: Grütze mit Kartoffeln und sogar (wir trauten unseren Augen nicht) viele Fleischwürfel waren darin und wer an einem Napf nicht genug hatte, konnte sich noch nachholen. Dann wurden wir in die Baracken, die aber fast alle schon voll waren, geführt, bekamen je 2 und 2 noch eine Decke und konnten uns auch zu Zweien auf einem Strohsack ausstrecken und wenn möglich hochklettern in die 3. Reihe der übereinander gebauten Pritschen.

Opa hielt sich immer dicht bei mir, war mein Kind, das sich ganz von mir betreuen ließ und doch hielten uns alle für ein Ehepaar, was uns ganz gleichgültig ließ. Am Morgen holte ich ihm auf seine Marke, die ich mitbekam, heißen Kaffee, Brot und Wurststückchen und Marmelade. Warnte ihn aber, nicht alles gleich auf einmal aufzuessen und ging ihm dann noch seinen 1/4 Ltr. Milch holen, wozu er bei der Untersuchung 1 Marke bekommen hatte. Wie ich wiederkam, hatte er schon alles verzehrt, ohne an sein Magen- und Darmleiden zu denken. Na, ich hatte dann die Bescherung und er musste liegen bleiben, bis seine Sachen wieder trocken waren. Drei Tage blieben wir da, ruhten und erholten uns etwas bei der guten Verpflegung. Für Opa teilte ich aber das Essen jetzt ein, dass er tagsüber etwas hatte.

Am 13. Juli früh ging es weiter nach Ratzeburg bei Lauenburg/Holst. Viele Flüchtlinge wurden auch schon auf früheren Stationen ausgeladen. 500 kamen wir nach Ratzeburg, wurden vom Roten Kreuz mit Autos und Krankenwagen abgeholt nach der Infanteriekaserne Mechhoferstr. 6, die als Lager eingerichtet, war aber schon ganz überfüllt mit Flüchtlingen. Wir Ost- und Westpreußen kamen ganz hoch auf einen großen Bodenraum unterm Pfannendach, wo es bei Tag sehr heiß und nachts ziemlich kalt war auf loser Strohschütte zu liegen wie die Schweinchen. Doch nein, zuerst durften wir uns in den großen Waschräumen nach 14 Tagen zum 1. Mal ordentlich waschen und wer noch etwas hatte, konnte auch Wäsche und Kleider wechseln. Diese große Wohltat kann nur der nachempfinden, der in ähnlicher Lage war. Dann gab es im großen Kantinensaal freies Mittagessen und für Abendbrot und Frühstück für den anderen Tag Brot, etwas Wurst, Margarine und Marmelade. Jeder bekam seine Portion und heißen Kaffee durften wir uns morgens und abends holen. Opa hatte natürlich schon wieder alles vor Abend aufgegessen und wurde nachts recht krank, sodass ich ihn in das angrenzende Krankenhaus gleich morgens brachte.

Bei der Untersuchung hielt mich der Arzt natürlich wieder für seine Frau und ich musste alle Angaben machen, weil Opa Kontowski vor Schwäche kaum sprechen konnte. Nachdem er in den Krankensaal gebracht war, musste ich dem Arzt noch erzählen, wie ich zu dem Opa gekommen bin und er sagte darauf: "Tapfere, kleine Frau, das ist Nächstenliebe, aber ich sehe, sie sind auch vollkommen unterernährt und möchte sie vorerst hierbehalten." Ich wehrte ab, weil andere noch schwächer waren, als ich. Am 2. Tag sollten wir das Essen bezahlen und ich hatte doch keinen Pfennig. Da gab mir eine mitleidige Gastwirtsfrau 2,00 Mark und ich saß dafür im Stroh (denn keinen einzigen Stuhl hatten wir 200 Menschen) und machte ihr ein viel zu weit und lang gewordenes Kleid passend.

Am nächsten Tag mussten wir alle nach der Stadt gehen zur Aufnahme unserer Personalien und dann noch zum Roten Kreuz, wo ich auch ein gutes Tag- und Nachthemd bekam und auf der Fürsorge 5 Mark Vorschuss. Inzwischen war das Lager etwas geräumt und wir kamen auf Zimmer zu 8 - 12 Personen, Männer, Frauen und kleine Kinder zu liegen auf Militätpritschen, etagenweise auf Strohsack mit Kopfstrohkissen. Decken hatten wir meistens selbst, ich, oh Wonne, auch ein Federkissen. Vier oder fünfmal musste ich das Zimmer wechseln und kam dann mit einer 6-köpfigen Gutsbesitzerfamilie aus Pommern und einem netten Fräulein auf Zimmer 66 zusammen, wo ich 1 1/2 Jahre bleiben konnte und mich unter den christlich gesinnten, anständigen Leuten ganz wohl fühlte, trotzdem auch der Hausvater, ein Mann in meinem Alter, und sein 15-jähriger Enkel, bald unser aller Vorzug, mit im Zimmer schliefen.

Die Ernährungsfrage war für mich einzelne Person doch recht schwierig, da Brot, Kartoffeln usw. für uns halbverhungerte Flüchtlinge durchaus von einer Karte nicht reichen wollten und für das Kantinenessen (Wassersuppe mit Kohlblättern), wovon man auch gleich wieder hungrig war, reichten meine 24 Mark, die ich von der Fürsorge bekam (monatlich) nicht aus, weil gleich 6 Mark für die Lagerstatt im Voraus abgezogen wurden. Ich besorgte mir aber gleich in den ersten Tage mit anderen Frauen Heimstrickarbeit für ein Hamburger Kinderheim und wenn ich recht fleißig strickte, konnte ich 7 - 8 Mark pro Woche verdienen. Musste mir ja zwischendurch noch immer im nahen Wald Brennholz zum Kochen suchen und dann das lange Anstehen beim Einkaufen erforderte so viel Zeit und machte so müde. Öfter ging ich auch mit einer anderen Frau ein paar Kartoffeln betteln von nahen Gartenbesitzern, wurden aber meistens als elendes Flüchtlingspack barsch abgewiesen.

Doch hatte ich mir nach einigen Wochen schon das Reisegeld nach Hamburg-Harksheide zu meiner verheirateten Schwester zusammengespart, wo ich hoffte, auch etwas von meinen Kindern und übrigen Geschwistern zu erfahren. Meine Karte kam erst nach mir an und so stand ich plötzlich ganz unerwartet in Evchens Küche und sie ließ das elende Bettelweib ruhig an der Tür stehen, fragte nur vom Herd aus: "Was wollen sie?" Ich antwortete: "Evchen, kennst du mich nicht?" Da stürzte sie mit ausgebreiteten Armen auf mich zu und schluchzte an meinem Halse: "So muss ich dich wiedersehen, meine stattliche, hübsche, frohe Schwester." Ich wusste ja gar nicht, wie ich aussah, weil ich fast 2 Jahre in keinen Spiegel geguckt hatte, sah nur beim An- und Auskleiden, wie ich mir die blaugraue Haut auf Brust und Leib übereinanderlegen konnte. Mein früher so volles, reiches Haar stand in kurzen, struppigen, grauen Borsten wild um den Kopf und der Mund so eingefallen, weil ich schon über 1/2 Jahr ohne mein Oberstück auskommen musste, das mir bei einem Faustschlag ins Gesicht von einem Russen auf die Steine fiel und in mehrere Stücke zerbrach und nur, weil ich um Hilfe rief, weil er mir die letzte Strickjacke fortnahm. Nun erschrak ich ja selbst, wie ich in den kleinen Handspiegel guckte.

Evchen kamen immer wieder die Tränen, wenn sie mich ansah. Sie machte mich erstmal satt mit ausgesuchten Leckerbissen, machte mir ein Bad und steckte mich dann in ein schneeiges, weiches Bett. Ich war der verlorene Sohn, der nach Hause gekommen und fühlte mich wie neugeboren, als ich nach erquickendem Schlaf am Abendbrottisch meinem lieben heimgekommenen Schwager von meinen Erlebnissen erzählen wollte. Evchen wehrte mit nassen Augen, ich kann es nicht hören, weiß alles schon von Lenchen. Ja meine 10 Jahre jüngere Schwester, die vor 2 Jahren den Anfang der Schreckensherrschaft bei mir miterlebte und dann zu Fuß die 200 Kilometer von Elbing bis Bischofsburg unter großen Gefahren zurücklegte, um ihrer einzigen Tochter beizustehen, deren Mann im Felde war, hatte ihr schon so viel Schreckliches erzählt, wie die Russen ihre Tochter so zugerichtet hatten, dass das Kind, welches sie erwartete, zu früh und tot geboren wurde. Sie selbst und die anderen Kinder wurden auf der Flucht ruhrkrank. Die beiden jüngeren Kinder wurden unterwegs, wo der Zug halten musste, mit mehreren anderen Leichen in den Schnee an der Böschung gelegt und die Fahrt ging weiter bis Berlin, wo die Tochter Hildegard Kurzewski in ein Krankenhaus kam und nach kurzer Zeit auch gestorben ist.

Die beiden 9 und 10-jährigen Kinder wurden in einem christlichen Kinderheim in Auerbach untergebracht und meine Schwester Lenchen nahm meine jüngste  Schwester, Eva Glaesmann, die einzige von uns noch lebenden 8 Geschwister auf, welche ihr Heim hatte behalten dürfen und hatte sie schon etwas wohler gepflegt. Wie gern hätte sie auch mich noch aufgenommen, wo ich, wie sie mir immer wieder versicherte, ihre 2. Mutter gewesen bin, wenn sie bei mir, ihrer zuerst verheirateten Schwester, immer ihre Schulferien verleben konnte und auch vor der Schulzeit längere Zeit bei mir war und besonders von meinem Carlmann, dem ersten, sehr verwöhnt wurde. Es ging ja aber nicht, denn Evchen hatte ihre verheiratete Tochter bei sich wohnen, deren Mann auch gerade aus englischer Gefangenschaft zurückgekommen war und außerdem ihre 3 jüngeren noch schulpflichtigen Jungen zu betreuen. Vor allem auch noch ihren lieben Mann, als einzige von uns 6 Schwestern, die wir andern schon alle Witwen waren und sie jetzt nach 7 Jahren dasselbe Los mit uns trägt. Mehrere wunderschöne Tage durfte ich bei ihrer sorglichen Pflege verleben, erfuhr dort auch die Anschriften meiner vier Kinder (drei verheiratet), die auch alle die Heimat hatten verlassen müssen und nun mit ihren Kindern in Baracken und Notwohnungen untergebracht waren. Die beiden ältesten Töchter in Eckernförde und Pretz/Holst. nicht weit von Ratzeburg, die ich dann auch bald besuchen konnte.

Alle hatten öfter nach Elbing noch an mich geschrieben, doch die Russen vernichteten ja unsere Briefe und so dachten die Kinder, dich sich bei Evchen erkundigt hatten, ebenso wie sie selbst, dass ich mit Omachen unter den Russen umgekommen bin. Auf der Rückreise blieb ich noch 1 Tag und Nacht in Hamburg im Albertinenheim, wo ich die alte Frau Oberin Assuhr aus meiner früheren Heimat Liebstadt noch ziemlich frisch antraf, auch Herr und Frau. Prediger Neese, viele Jahre unser Prediger in Elbing. Die kannten mich auch nicht wieder und Frau Neese umarmte mich unter Tränen: "Tante Saretzki, so muss ich sie forsche Gutsbesitzerfrau, die uns immer in den Ferien in ihrem schönen Heim so großartig bewirtet haben, wiedersehen, oh, wie konnte Gott das zulassen?" Sie suchte gleich eine schöne Strickjacke für mich vor und andere Kleinigkeiten und ihre Schwester, jetzige Frau Oberin Krupat, die auch daran sich erinnerte, wie wir in unserem schönen Galawagen mit den flotten Trakehner Braunen davor, mit ihr an die geneigten Ebenen gefahren sind, wo die Schiffe über die 5 Rollberge fuhren, ließ gleich in der Nähstube ein Spendenkleid für mich passend machen und schenkte mir auch ein paar Schuhe, dir mir leider nicht passten. Herr Neese gab mir noch 20 Mark von der Bruderhilfe und auch Adressen von Ratzeburger Baptistengeschwistern, nach denen ich mich dort bei einem Polizisten vergeblich erkundigt hatte, da er von dieser Sekte noch nie gehörte hatte.

Von dem jungen Prediger Hemmen, der auch im Albertinenheim wohnte und mich am anderen Morgen zur Bahn brachte, hörte ich zu meiner großen Freude, dass er jeden Donnerstagabend den wenigen Ratzeburger Geschwistern im kirchlichen Gemeindesaal in einer Bibelstunde dient und auch im Lager die Flüchtlingsgeschwister besucht, ebenso die in Mölln und den umliegenden Dörfern. Da freute ich mich nun schon auf den Donnerstag und erzählte meiner Schwester, mit der ich durch das Singen unserer Lieder bekannt geworden war, gleich von unseren Versammlungen und wir gingen rechtzeitig zu dem bekannten Saal, wo wir schon von ca. 20 Geschwistern, fast alle Flüchtlinge, herzlich begrüßt wurden. Gut ebenso viel Fremde waren auch da und wir beide hatten aus dem Lager auch noch einige mitgenommen und  alle lauschten  wir hungrig der lang entbehrten Verkündigung des Wortes Gottes und sangen bewegten Herzens gemeinsam die lieben, trauten Zionslieder.

Prediger Hemmen besuchte uns dann auch im Lager, brachte uns Bibeln und auch öfter andere nötige Sachen: Leibwäsche, Geschirr usw. Mir sogar einmal mit Schw. Frida zusammen, die später seine Frau wurde, einen Hut und Mantel. Sie bemitleideten mich, das ich ein so unwürdiges Unterkommen dort habe und ich kam mir schon wunder wie reich vor, wurde von meinen Stubengenossen fast beneidet. Von den dort schon länger wohnenden Familien Voß und Tatzig, mit denen ich heute nach 7 Jahren noch im lieben Briefwechsel stehe, wurde ich öfter zu Mittag eingeladen. Ich beschäftigte mich viel mit Tatzigs Kindern, beaufsichtigte sie und führte sie spazieren, wobei wir dann auch schön sangen und spielten und sie hatten die Oma recht lieb, ich keine Not mehr, mit meiner Karte auszukommen. Bei Herrn und Frau Voß, die nicht weit vom Lager wohnten, wurde ich eigentlich gleich zuerst Stopf- und Flickoma und der kleine herzliebe Bub Uwe besuchte mich oft im Lager und hielt meistens ein Sträußchen oder Päckchen in der Hand auf dem Rücken und fragte mit seinen großen lachenden Braunaugen: "Oma, was hab ich dir wohl mitgebracht?" Wir haben dann zusammen immer Sonntagsschullieder gesungen und damit die anderen Stubengenossen erfreut, die sie auch lernten und mitsangen.

Herr Hemmen, der nun auch in Ratzeburg sein möbliertes Zimmer bekommen hatte und uns auch mit Herrn Voß abwechselnd nun Sonntagsdienste machte, hatte durch seine fleißigen Haus- und Lagerbesuche auch auf den umliegenden Dörfern schon eine ganz nette Schar Flüchtlingsgeschwister gesammelt und es wurde der große Aulasaal der Schule für unsere sonntäglichen Versammlungen, Sonntagsschule, wöchentlichen Bibelstunden und Gesangstunden gemietet. Herr Tatzig, der schon eine größere Tischlereiwerkstatt hatte, stiftete das Rednerpult und bequeme Stühle. Er war immer der erste, der mit 3 oder 5 Brüdern den 1. Gottesdienst im Walde vor 2 Jahren angefangen hatte und wurde nun der noch junge Älteste unserer nicht mehr kleinen Flüchtlingsgemeinde. Der erste Winter 1946/47 fing schon im November mit starkem Frost und viel Schnee an. Die harten Holsteiner, die bestimmt einen Kopf von Holz und ein Herz von Stein hatten, schimpften wieder auf die Flüchtlinge, die den strengen Winter aus dem Osten mitgebracht hätten. Wir aber spürten es ja in den ganz ungeheizten großen Sälen am meisten, denn die Fenster und Außenwände waren ganz vereist. Nachts befror uns die Decke vom Hauch und die Füße und Beine wurden überhaupt nicht warm.

Ich bekam von 2 blinden Schwestern noch eine dicke Steppdecke zum Überlegen auf meine dünne und doch hatte ich den ganzen Winter mit einem Blasenleiden zu kämpfen, das sich zum Frühjahr Gott sei Dank wieder besserte. Ich hatte ja nun schon Familie Voß ganz in der Nähe, wo ich mich jederzeit außen- und innwendig aufwärmen konnte. Wurde immer mit viel Liebe und Herzlichkeit aufgenommen und Mütterlein und Oma genannt, was mir so sehr wohlgetan hat und ich noch immer bete, dass Gott ihnen diese Liebe an mir Ärmsten erwiesen, tausendfach vergelten wolle. Zu unserem jungen Prediger, dessen Flickoma ich auch war, wurde ich jeden zweiten Montag dazu eingeladen und er hatte immer etwas an Vorrat von seinen Amerikapaketen. Ich musste dann zuerst auf dem kleinen Ofen in seinem Zimmer ein feudales Mittagessen kochen oder Puffer backen, wozu er die Kartoffeln schälte und dann schwelgten wir und vom Arbeiten wurde nicht viel, höchstens wenn Herr Hemmen mir etwas Schönes vorlas. Urgemütlich war es, ich seine Oma und er mein lieber Enkel, der mich so liebevoll und ritterlich umsorgte, dass ich mich die ganze Woche schon immer auf das Bei-ihm-sein freute und er beteuerte, wenn ich ihm immer seine Sachen in Ordnung halte, wird er gar nicht ans Heiraten denken.

Na es kam ja denn doch bald anders und ich bekam aber doch die Flick- und Stopfsachen noch ins Altersheim Schrangenstr. 3 gebracht, wo er mich öfter mit seiner jungen, stattlichen Frau besuchte und uns 4 Frauen, die zusammen ein Zimmer bewohnten, jedes mal eine kurze Andacht hielt. Ja, ich kam durch Fürsprache aus dem Lager in ein zur Kirche gehörendes Altersheim, welches früher eine Herberge für durchreisende Handwerksburschen gewesen war und dem man es trotz der Umwandlung noch sehr anmerkte, besonders an den entsetzlichen Flöhen, die in den Dielenritzen saßen und nachts über uns herfielen. Na, ich ging ihnen ordentlich ans Leben mit Schrubber und Lisol. Das Essen war anfangs einigermaßen sättigend, wurde aber nachher, als der Hausvater dem Vorstand des Heims immer den besten Teil der gelieferten Lebensmittel hinschleppte, wie wir abends durchs Fenster beobachten konnten und auch seine Maitresse mit 2 Kindern damit versorgte, wurde es schlechter wie im Lager.

Ich war ja nun allein nicht mehr darauf angewiesen und konnte mir durch Strickarbeit allerlei zusätzlich verdienen. Brachte auch meistens meinem alten Opa Kantowski, den ich regelmäßig im Krankenhaus besuchte, immer etwas Gutes zum Essen mit. Er war schon viel wohler und ganz aufgeräumt geworden und empfing mich immer mit Freuden. An einem Sonntag bat er mich mit ihm auf dem langen Korridor noch etwas hin- und herzugehen und erzählte mir, dass er jetzt wieder seine Angestelltenversicherung, etwas über 300 Mark monatlich, bekommt und auch eine schöne Nachzahlung schon erhalten hat. Darauf hat ihn seine Schwägerin, des inzwischen verstorbenen Bruders Frau, die in Bergedorf-Hamburg ein Gartengrundstück hat, angeboten, zu ihr zu kommen. Er weiß aber, dass seine Schwägerin geizig und hartherzig ist und möchte nicht zu ihr.

Und dann ziemlich stockend und verschämt meinte er, ob wir beide uns nicht zusammentun könnten, nicht so wie  in der Polenzeit, wo ich ihm große Barmherzigkeit erwiesen habe, sondern er möchte mich heiraten und mein Versorger sein, mir doch etwas Dankbarkeit beweisen. Da war ich dann doch sprachlos. Opa, die Hühner lachen uns doch aus, sie 80 Jahre und ich auch schon 70! Nein, was sollten meine Kinder dazu sagen und die Großkinder? Er meinte, so etwas ist schon alles vorgekommen, dass der Großvater die Großmutter nahm, er hatte ja keine Kinder. Na, ich ging viele Wochen nicht mehr ins Krankenhaus, hörte aber dann, dass seine Nichte ihn nach Bergedorf geholt hat. Dieselbe schickte mir später 20 Mk Reisegeld, trotzdem es von Ratzeburg nur 5 Mk kostete bis Hamburg, wo ich dann auch gleichzeitig meine Schwester besuchen konnte. Opa freute sich wie ein Kind und er war ja auch schon kindisch, darum konnte ich ihm auch nichts übel nehmen. Bald nach meinem Besuch ist er dann plötzlich gestorben.

In dem ollen Altersheim fühlte ich mich gar nicht wohl, weil die eine Zimmergenossin so zänkisch und neidisch war und es traf mich denn auch nicht zu hart, wie der Herr Superintendent, der berühmte Vorstand mir eröffnete, dass ich als Baptistin eigentlich gar nicht in dies kirchliche Heim gehöre und ich soll nur unseren Prediger bitten, dass er mir eine andere Unterkunft besorge, ich errege auch Unzufriedenheit und Neid, weil ich öfter Sachen von der Bruderhilfe durch die Gemeinde bekomme, wo die Kirche ihre vielen Glieder nicht so beschenken kann. Den Herrn von der Fürsorge, die einmal im Heim nachfragen kamen in unser Zimmer, wie es uns geht und was wir außer Mittag- und Abendbrot noch bekommen, hatte ich der Wahrheit gemäß gesagt, dass wir 4 Pfd. Brot, 1/4 Pfd. Käse und 20 gr. Butter pro Woche, 3/4 Pfd. Marmelade und 5 Mk Taschengeld den Monat, letzteres aber schon 3 Monate gar nicht bekommen hatten. Da waren sie ganz empört und sagten, es wird von jetzt an öfter revidiert werden. Ich wurde danach sehr schlecht von den bösen Hauseltern behandelt und in allem zurückgesetzt, aber die anderen dankten es mir, dass sie nun 100 gr. Butter die Woche bekamen und auch noch etwas Zucker und Kunsthonig und regelmäßig 6 Mk Taschengeld pro Monat. Ich litt keine Not, hatte ja meine treuen Freunde, die mir immer beistanden und sich auch bemühten, mich anders unterzubringen.

Mir wurde dann auch ein kleines Durchgangszimmer bei Frau Moll, ganz in der Nähe von Tatzigs, angewiesen und ich war dort mehr zuhause, als in meinem Stübchen. - Meine beiden verheirateten Töchter habe ich von Ratzeburg aus auch noch besuchen können und mich an den größeren und besonders an den kleinen Großkindern recht erfreuen können. Bei Hete, die noch immer in derselben Wanzenbaracke wohnen muss, war ich 14 Tage und verwöhnte das kleine Katharinchen, das auch erst dort geboren worden ist in Pretz.

Von da fuhr ich noch nach Eutin zum Treffen der Elbinger und Marienburger Gemeindeflüchtlinge, das mein Schwager, Prediger Hugo Kellotat, und Herrn Renters leiteten. Ach, war das ein Wiedersehen und herzinniges Begrüßen mit den lieben bekannten Geschwistern. Wir lagen uns in den Armen und weinten miteinander und das Erzählen wollte kein Ende nehmen. Bei einer gemeinsamen Versammlung forderte mein Schwager mich auf, von unseres teuren, allgeliebten Muttchens Heimgang und Begräbnis zu erzählen. Ich konnte es nur unter Tränen und viele weinten mit mir. Am Erhebendsten war zum Schluss die gemeinsame Abendmahlsfeier mit den vielen schon tot geglaubten Geschwistern. "Oh, wie stärkt in Freud und Leid der Gemeinschaft Seligkeit." Am andern Tag machten wir noch alle zusammen einen ziemlich weiten Spaziergang mit Heimatgesängen verkürzt in die herrlich von Seen und Wald durchzogene Umgebung Eutins bis zu einem auf ziemlicher Höhe terrassenartig angelegten Erholungsheim, wo wir alle mit belegten Brötchen und Kakao bewirtet wurden. Das war wieder mal ein Labsal nach der großen Trübsal.

Überhaupt die Bewirtung in den großen Bahnhofsrestaurants für alle Teilnehmer des Treffens war ganz großartig feudal. Und diese Gemeinschaft bei der Mittagstafel. Ich saß z. B. einmal zwischen 2 ganz großen, sehr feinen Herren Direktoren, Professoren, was weiß ich, und sie unterhielten sich so lieb mit mir, fragten, wie ich nur die schreckliche Polenzeit habe überstehen können, ich armes, schwaches, altes Weiblein, legten mir immer wieder von dem prächtigen Gemüse und Fleisch auf, bis ich sagte: "Nun kann ich aber wirklich nicht mehr" und fragte, wer das denn alles bezahle. Antwort: der liebe Gott durch die Bruderhilfe. Ja, den Segen erfuhr ich ja buchstäblich nun, denn gekleidet und genährt wurde ich, schlief auch die beiden Nächte in einem sauberen schönen Bett und bekam noch das Reisegeld, alles durch die Bruderhilfe.

Auf der Rückreise konnte ich dann noch meine beiden verheirateten Töchter Emmy Linhuber in Eckernförde und Hete Frentzel-Beyme in Pretz besuchen, zum letzten Mal mich noch an den Enkelkindern erfreuen und von allen Abschied nehmen, weil mein Bleiben in Ratzeburg nun bald zu Ende ging. Ob wir uns auf Erden noch wiedersehen? Gott allein weiß es und ich will, wie ich es meinem geliebten Mann beim Sterben versprochen, sie alle heimbeten. Meine Kinder, Schwiegerkinder und Enkel. Alle wollen wir uns treffen und vereint werden im großen, freien, schönen Vaterhaus! Um unseren teuren Erlöser zu preisen für alle seine Wunderwege mit uns, auch für die dunkelsten, denn gerade da hat uns seine große Barmherzigkeit und Liebe, seine Treue und Gnade geleuchtet auf dem dunklen Pfad, dass wir immer das herrliche Ziel, unsere ewige Heimat im Auge behielten und ihr auch durch Gottes Gnade ein Stück näher gerückt sind. "Preis seiner Liebesmacht, die uns erlöst!"

Oktober 1948 im Altersheim Ratzeburg, Schrangenstr. 3

Auch hier ist mein Bleiben nicht mehr länger, weil ich die Betrügereien unseres gottlosen Hausvaters und seiner stets schimpfenden Frau aufgedeckt hatte, die der Vorsteher des Heims beschönigte, weil er auch seinen Teil davon abbekam, wurde ich aus dem Heim verwiesen. Besonders betonte der Herr Superintendent, dass ich als Baptistin keinen Anspruch auf dies kirchliche Heim habe und so musste ich das mir angewiesene Durchgangszimmer Gr. Wallstr. 13 bei Fr. Moll beziehen und versuchen mit 30 Mk Fürsorgeunterstützung auszukommen. Herr und Frau Tatzig nahmen sich meiner an. Ich konnte mir, solange ich gesund war, durch das Warten der kleinen Kinder und anderen häuslichen Arbeiten das Mittagessen verdienen, auch Brennholz für meinen kleinen Ofen aus ihrer Tischlerei. Ein Bettgestelle, kleinen Schrank und Waschtisch bekam ich auch von Geschwistern und 1 Tisch und drei Stühle fand ich im Zimmer. Ich wäre ganz zufrieden gewesen, wenn nicht die 4 Kinder, deren früheres Kinderzimmer ich nun bewohnte, fortwährend hin- und hergelaufen wären und es nicht immer weiter als ihr eigenes Spielzimmer betrachtet hätten. Keinen Bissen konnte ich in den Mund stecken, wo sie nicht dabei standen und das Toben und Zanken wurde mir doch zu viel. Da die Mutter es auch von mir verlangte, dass ich in ihrer vierwöchigen Krankheit den ganzen Haushalt besorgte und alles sauber hielt, wurde es mir doch mit meinen 71 Jahren zu schwer und ich wurde selbst krank und elend mit großen Ekzemen an den Schienbeinen, die nicht heilen wollten, ins Krankenhaus überwiesen.

Der Arzt sagte, dass es von Überanstrengung der Beine gekommen ist. In den 4 Wochen meines Aufenthaltes im Krankenhaus erholte ich mich körperlich und seelisch und meine Beinwunden heilten durch die Ruhe und sachgemäße Behandlung. Sonntäglich, auch oft in der Woche bekam ich Besuch von lieben Geschwistern, die mir meist auch kleine Erfrischungen mitbrachten, so war das eine schöne, ruhige Erholungszeit für mich, die aber mit meiner Heilung zu Ende ging. Mein Schwager Kelletat hatte mir inzwischen die Adresse vom Pilgerheim Weltersbach geschickt und ich hatte dem Leiter dort meine Lage geschildert und um Aufnahme bzw. mal erst zur Vornotierung gebeten. Wie war ich überrascht, als ich nach 4 Wochen schon den Bescheid bekam, dass ich evtl. schon am 1. April dorthin übersiedeln kann, wenn die Kostenfrage durch die Fürsorge gelöst wird. Mein treuer Vater im Himmel, dessen armer Sperling ich nun einmal bin, sorgt doch so gnädig für mich, indem er alle Herzen lenkt und alle Wege ebnet, wo ich keinen Ausweg mehr finde. Auch die Geschwister hier, die mir fast alle Liebe erzeigen, freuen sich mit mir, dass ich nun noch einmal eine Heimat finden soll, wo ich nicht mehr über meine Kräfte arbeiten brauche. Der Arzt stellte mir gleich ein Attest aus, dass ich mit meinen 71 Jahren mit dem kranken, geschwächten Körper der Aufnahme in einem Alterspflegeheim dringend bedarf und nach dessen Einsendung bekam ich vom Leiter des Pilgerheims den Bescheid, dass mit der Fürsorge alle geregelt ist und ich zu Ostern schon zuziehen kann.

Das war nun wieder Gnade und Barmherzigkeit meines Gottes über Bitten und Verstehen, denn ich bin die Letzte gewesen aus anderen Bezirken, der die Fürsorge Leichlingen die Unterhaltskosten bewilligte. Ratzeburg gab mir keinen Zuschuss für Heizung oder sonst zu einer Anschaffung. Da musste ich sehen mit 30 Mk monatlich auszukommen. Hätten sich die dortigen Geschwister nicht meiner angenommen wie Tatzigs, Voss, Achilles, Anhalt, Asts und unser lieber Prediger Boro mit seiner herzigen Frau, so wäre ich wohl nicht mehr. Letzterer erzählte mir noch viel vom Pilgerheim, das er kannte und schrieb mir den genauen Reiseplan auf, gab mir auch Zuschuss zum Reisegeld und verabschiedete mich Ostern bei der Abendmahlfeier nach der Taufe von 17 neu hinzugekommenen Erlösten so herzlich. Mir wurde der Abschied doch recht schwer, war ich doch in den drei Jahren meines Dortseins aufs herzlichste mit den lieben Geschwistern, die fast alle durch dasselbe Leid gegangen, verbunden.

Tatzigs 4 Kinder und auch die 4 von Fr. Moll, bei der ich 1/2 Jahr gewohnt hatte, begleiteten mich zum Bus, der mich nach Hamburg brachte zu meiner jüngsten Schwester und Schwager, wo ich mich noch eine Woche aufhielt, um dann am 25.4. die weite Reise bis ins Rheinland anzutreten. Die letzte Nacht logierte ich noch im Albertinenheim und wurde früh, gleich nach 5 Uhr von Herrn Prediger Neese, der mir auch die Fahrkarte besorgte, in den D-Zug Hamburg-Köln gebracht. Nach 12 Stunden Fahrt kam ich ziemlich müde bei Regenwetter hier in Friedrichshöh mit dem Bus an, wo mich Herr Kaschari, der nun inzwischen schon heimgegangen ist, abholte. Unser Heimleiter begrüßte mich auch schon auf halbem Wege und seine Frau und Schwester Helene führten mich in mein schönes, großes, nett eingerichtetes Zimmer, wo ich noch von 2 Mitbewohnerinnen aufs Herzlichste begrüßt wurde. Auf meinem Nachttischchen standen zum Empfang ein blühender Topf mit Willkommengruß von der Heimleitung. Wie ich das für mich schon bereitete, schneeige Bett sah, ein Anblick, den ich 4 Jahre entbehrt hatte und dann noch die  weiß gedeckte, mit Blumen geschmückte Abendbrottafel im großen Esssaal, die freundlichen Gesichter und liebenden Hände, die sich mir alle zur Begrüßung entgegenstreckten, die schöne gemeinsame Abendandacht, war ich ganz überwältigt und Dankesfreudentränen ließen sich nicht mehr zurückhalten.

Anderntags erging ich mich in der nächsten Umgebung des herrlich gelegenen Heims. Ein stilles Tal in blühenden Gärten, sauber gehaltenen, gepflegten Anlagen, drei Teichen, die der munter plätschernde Weltersbach immer mit frischem, klarem Wasser versorgt. In einem sah ich 4 größere Goldfische dunkelrot. Nusssträucher und wieder hellleuchtendes Grün umrahmten die Teiche. Blühender Flieder und andere wunderschöne Ziersträucher grenzten die sauberen Wege ein, die hinauf bis zum herrlichen Buchendom führen, wo man's wirklich spürt, hier ist nichts anders denn Gottes Haus, hier ist die Pforte des Himmels. So habe ich's empfunden. Wie ich dann noch von den nahem Waldwegen Jesus-Lieder herüberschallen höre von gleichgesinnten, lieben Mitgliedern, denen ich mich dann anschloss, 70 - 80 Insassen, sind wir hier in 2 größeren und 3 kleinen Häusern wohnend. Fast alle über 70, einige auch über 80 Jahre alt, alle verwandt in dem Versöhnungsblut unseres Heilandes, ihn liebend, ihm folgend, ihn erwartend. Eine kleine, hübsche Kapelle haben wir, wo, weil ganz nahe, auch die Alten, Gebrechlichen noch zum Gottesdienst hinkönnen, den meistens unser lieber, allverehrter und geliebter fast 80jähriger Herr Jäger noch leitet. Im Sommer haben wir auch sehr abwechslungsreichen Besuch durch Jugend- und Kinderfreizeiten, Frauenvereinen und Gesangvereinen, die uns durch herrlichen Gesang erfreuen und durch fröhliches Spiel. Auch dienen uns dann öfter auswärtige Prediger.

Alle Tage ist ja aber auch nicht Sonnenschein. Wenn man zu Dreien im Zimmer wohnt, ein jegliches nach seiner Art, so muss man sich doch immer hindurchfühlen und anpassen, um harmonisch miteinander leben zu können, aber es ist doch so sehr viel schöner und besser, als das Leben im Lager mit 8 - 9 in einem Raum und wir sind doch alles mehr gleichgesinnte Pilger zur Heimat hier auf Endstation angelangt zum Ausreifen für die Herrlichkeit. Mehrmals bin ich schon umgezogen und wohne jetzt im schönsten Zimmer des Hauses hier mit einer fast gleichaltrigen Zimmerschwester, auch aus meiner Heimat Elbing, deren gelähmte, ältere Schwester ich pflegen und betreuen half, bis ich ihr am 15.9.1951, früh 3 Uhr die müden Augen zum letzten Schlummer zudrückte. Frau Marta Meyer lag auch schwer krank und ich übernahm nun ganz selbstverständlich auch ihre Pflege 6 Wochen lang. Fast jede Nacht, 3 - 4 mal raus und da ich am Tage auch nicht ruhen konnte, wurde es doch zu viel für mein ohnehin schon krankes Herz.

Der Arzt sagte nach der Untersuchung: "Wie haben sie sich nur so abwirtschaften können! Nach den verordneten Mitteln und der 10-tägigen Liegekur erholte ich mich aber wieder recht gut und wir beide Martas, die große und die kleine, haben viele schöne Tage, Wochen, jetzt auch schon über 2 1/2 Jahre friedlich miteinander verlebt, Freud und Leid, Krankheit und Betreuung miteinander geteilt. Trotzdem wir ganz verschiedenen Charakters sind, bemühen wir uns immer, einander zu verstehen und gegenseitig unsere Schwächen zu tragen und uns weiter zu helfen dem Ziele zu! Viele unserer müden Pilger hier haben wir schon auf ihrem letzten Gang zu unserem so schön terrassenartig angelegten, wohl gepflegten Waldfriedhof begleitet. Wann kommt an uns die Reihe?

Ich habe mich, nach dem die Herzschwäche durch die jetzt so schnell fortschreitende Verkalkung der Herzschlagader stark zugenommen hat und ich durch den hohen Blutdruck (250) sehr zu leiden habe, so dass ich mich an besonders schweren Tagen ganz sterbenselend fühle und die Nächte öfter sitzend verbringe bei großer Atemnot, schon ganz mit dem Gedanken vertraut gemacht, dass ich eine der Ersten sein werde, an die Gottes Heimruf ergeht. Ich freue mich darauf und wenn dann wieder leichtere Tage kommen, wo ich noch in mehreren Stationen bis zum Friedhof, meinem Heiligtum, meinem Gebetskämmerlein, raufpilgern kann, dann singe ich dort meinem großen Erbarmer meine Dank- und Loblieder, meistens auch die schönen Heimatlieder. Oh, wie gut ist's, doch des allmächtigen, allweisen Vaters Kind zu sein und still in seiner Liebe zu ruhen, in seine Gnade sich ganz einzuhüllen und so mit Freuden auf seinen Heimruf zu warten. Da bin ich hier schon selig und was wird das erst für Wonne sein zu erwachen in lichter Herrlichkeit nach seinem Bilde!

Meine beiden anderen Kinder Erich und Christel haben mich hier im schönen Pilgerheim schon öfter besucht zu meiner großen Freude. Sie sind mir ja nun die Nächsten, der Sohn in Marsdorf b. Köln und meine jüngste Tochter in Neuß/Rh. Also sorgt Gott auch darin für mich, dass ich nicht von allen meinen Liebsten verlassen bin. Meine älteste Schwester Luise Kommoß, Berlin-Steglitz und mein Bruder Emil Thimm, Ostzone, sowie auch meinen jüngsten Bruder Otto und meine Schwester Marie Meyhack habe und werde ich auf Erden wohl nicht mehr wiedersehen, aber in geistiger und brieflicher Verbindung stehe ich mit meinen 7 noch lebenden Geschwistern. Auch mit recht vielen lieben Freunden aus der Notzeit. Oh, ich bin noch so reich als arme Fürsorgeempfängerin mit meinem kleinen Taschengeld und reicher kann ich nirgends werden, als ich schon in Jesu bin.

Bildnachweis:

Elbinger Nachrichten, Uelzen Weihnachten 1967
Krüger, Else: Elbing 1945/46 - Ein Bericht aus schwerer Zeit, Trusoverlag, Münster/Westf. 1995.
Stadtplan Elbing/Westpr. 1945, Trusoverlag, Münster/Westf. 1997
Templin, Gerhard