in historischen Ansichtskarten


Tolkemit - Tolkmicko - Teil 3

 Das Deutsche Haus in Tolkemit - HUB - das Ende 1945

Gemessen an der Zahl der erwachsenen Einwohner besaß Tolkemit die beachtliche Anzahl von 11 Gaststätten. Jede dieser Gaststätten hatte ihre eigenen Gäste. So gab es klare Abgrenzungen, wohin die Schiffer und Fischer gingen, die Handwerker, die Ziegeleiarbeiter oder wo der Ausspann der Kirchenbesucher aus Conradswalde und Neuendorf stattfand. Es ist schon beachtlich, dass alle Gaststätten ihr Auskommen hatten.

Das "Deutsche Haus" in Tolkemit, am Markt vor der katholischen Pfarrkirche "St. Jakobus" gelegen, war ursprünglich eine Gastwirtschaft mit Ausspann. Der Besitzer war ein Angehöriger der Familie Diegner. Sie wohnte ebenfalls am Markt und galt in Tolkemit als begütert. Außer mehreren Ländern gehörte auch ein Fracht-Schoner zu ihrem Eigentum. Um 1880 kam der Kaufmann Eduard Berlin mit seiner Frau nach Tolkemit  und kaufte die kleine Gastwirtschaft von der Familie Diegner. Er baute dann ein zweistöckiges Haus mit Veranda an und gab ihm den Namen "Deutsches Haus". Zu Beginn ließen die Besucher auf sich warten. Erst nachdem er an dem niedrigen Gebäudeteil die Aufschrift "Restauration und Destillation" angebracht hatte, kam der Erfolg. Nun fühlten sich auch Menschen, außer den Übernachtungsgästen, angesprochen. Als besonders zahlreiche Gäste konnte er die Ziegeleiarbeiter begrüßen, die von ihrer schweren Arbeit von den Ziegeleien aus Cadinen und Panklau in die Destillation kamen, um ihren Klaren mit Himbeertropfen, "Bombchen" genannt, zu trinken.


Bild 37: Der Tolkemiter Marktplatz mit Rathaus (links) und dem "Deutschen Haus" (in der Mitte) etwa um 1910. Dahinter sieht man die katholische Pfarrkirche St. Jakobus.




Bild 38: Partie am Marktplatz - aus einem anderen Blickwinkel, ca. 1910

Mit dem Eisenbahnanschluss durch die Haffuferbahn (HUB)  im Jahre 1901 kamen noch mehr Hotelgäste nach Tolkemit




Bild 39: Diese Ansichtskarte vom Haffuferbahnhof entstand etwa um 1919


Bild 40: Auf dieser Tolkemiter Karte sieht man den Haffuferbahnhof und zwei Wagen der Haffuferbahn. Die Bahnstrecke verläuft von Elbing nach Frauenburg und Braunsberg am Frischen Haff. Da das Fahrgastaufkommen in der heutigen Zeit sehr gering ist, fährt jetzt statt einer Lok mit mehreren Waggons nur noch ein Schienenbus und ab und zu ein Nostalgiezug.




Bild 41: Der Tolkemiter Bahnhof von der anderen Seite




Bild 42: Bahnhof der Haffuferbahn mit Bahnhofsgaststätte 

Nach dem Tode von Eduard Berlin führte Anna Berlin mit ihrer Schwester den Betrieb weiter. Besonderen Zuspruch fanden Hotel und  Gastwirtschaft in den Sommermonaten, wenn die Menschen aus dem Binnenland kamen, um mit dem Dampfer weiter nach dem Ostseebad Kahlberg zu fahren

Bild 43: Der Kahlberg-Dampfer "Tolkemit" verlässt den Tolkemiter Hafen

Zusätzlich gab es weiteren Auftrieb, wenn Kaiser Wilhelm II. mit seiner Familie nach Cadinen kam. In Tolkemit ging dann das Wach-Bataillon in Quartier. Im "Deutschen Haus" war zu dieser Zeit Hochbetrieb. Die Offiziere des Bataillons und das Bahnpersonal des Kaiserzuges, der auf einem Abstellgleis des Tolkemiter Bahnhofs stand, kamen hier zum Essen. Mit dem Ende des Sommers waren dann die guten Geschäfte wieder vorbei. Die Konkurrenz in Tolkemit wuchs. Andere Gastwirtschaften eröffneten und die immer schwierigere Geschäftslage zwang Anna Berlin im Juli 1914 das "Deutsche Haus" zu verkaufen. Wegen des Krieges wurde das Haus dann geschlossen und alle Fenster mit Brettern vernagelt.

1918 erwarb die Familie Pillukat aus Darkehmen das Gasthaus. Im Jahr 1924 wurde es erweitert. Der ältere Teil des Hauses wurde aufgestockt und an den früher errichteten Anbau angeglichen. Die zuständige Baubehörde machte zur Auflage, dass der Barockgiebel erhalten bleibt. Da er den Anblick des Kirchturms, vom Markt aus gesehen, gestört hätte, musste er zur Seite verrückt werden. Das Ergebnis war ein unschönes Bild der Gesamtfassade, aber die Baubehörde hatte ihre Aufgabe, den alten historischen Giebel zu erhalten, erfüllt.


Bild 44: Das "Deutsche Haus" nach dem Umbau vor dem Zweiten Weltkrieg

In dem neuen Stockwerk entstand ein Saal, in dem besondere Veranstaltungen stattfinden konnten (Schlacht- und Bockbierfeste, u. ä.). Der Besitzer Gustav Pillukat, der auch Stadtverordneter war, baute in das Haus auch ein "Ratsstübchen" ein, wo man auch den großen "Tolkemiter Aal" an der Decke bewundern konnte. Hier vergnügte sich der Rat der Stadt, wenn er nach getaner Arbeit aus dem gegenüber liegenden Rathaus kam.

Bild 45: Der Riesenaal und das Tolkemiter Bier 

Hans-Jürgen Schuch schrieb dazu: "Nach einer Sage wurden die Fischer der am Frischen Haff gelegenen Hafenstadt Tolkemit von einem Riesenaal geschädigt, bis er zu viel Tolkemiter Bier trank, einging und an die Kette gelegt wurde." Es handelte sich um das in Tolkemit gebraute Bier mit dem Namen "Brüllkater."


Es gab nicht nur einen Riesenaal im "Deutschen Haus", sondern auch einen in der "Bahnhofswirtschaft", wie auf der folgenden Ansichtskarte zu sehen ist. 



Bild 46: Bahnhofswirtschaft mit Jägereckchen und dem großen Aal von Tolkemit (27.6.1936)



Der große Aal von Tolkemit:

1. O Tolkemit, du schöne Stadt,
Du achtes Weltenwunder!
Wer einmal dich gesehen hat,
Dem ist Paris ein Plunder.
Wo jedes Haus ein Eckenhaus
So niedlich wie ein Schneckenhaus
Zwei Fenster hat statt einem.

2. Und erst der Aal - jetzt liegt er tot
Im Hafen an der Ketten: 
Doch damals war's 'ne große Not,
Es galt die Stadt zu retten.
Er kam geschwommen in das Gatt
"Ihr Bürger, macht mich fett und satt,
sonst muss ich euch verschlingen."

3. Das war ein Schrecken, war ein Graus
Ein Jammern, Händeringen,
Man lief zum Magistrat hinaus
Um Ketten herzubringen.
"Herr Bürgermeister, welche Not,
Ein Ungetüm ist da und droht,
Uns alle aufzufressen."

4. Der Bürgermeister, der hat lang
erwogen, weis' und richtig.
Der Sachverhalt mach' einem bang'
und sei nicht ungewichtig -
"So mästet stracks das Ungetüm!
Dann zieht es wohl in Frieden!"

5. Man brachte Brot, man brachte Wurst,
Auch Käse, Fleisch und Schinken.
Bekam der Aal da großen Durst,
Er wollte auch was trinken.
Und bringt ihr mir nicht Bier zum Schmaus
So sauf ich euren Hafen aus,
Mit mir ist nicht zu spaßen.

6. Da fuhren sie hinaus ihr Bier,
Auf einem Trauerwagen,
Was die Tolk'miter brau'n, kann schier
Kein Tier, kein Mensch vertragen.
Kaum hat der Aal 'nen Schluck getan,
Gleich fielen ihn die Krämpfe an - 
Da lag er unbeweglich.

7. Jetzt zog hinaus wohl jung und alt,
Kein einziger wollte fehlen.
Der Aal lag an der Kette bald,
So ließ er sich nicht stehlen.
Nun durft' man froh und fröhlich sein
Und kommt ihr nach Tolk'mit hinein,
So lasst den Aal euch zeigen.

Leider verstarb Gustav Pillukat früh und hinterließ eine Witwe und drei Söhne. Mit ihren Schwestern führte Frau Pillukat das "Deutsche Haus" weiter. Das Hotel und die Gaststätte erfreuten sich steigender Beliebtheit. Hier war oft über mehrere Monate im Sommer das Hauptquartier der Altertumsforscher um Prof. Ehrlich aus Elbing, wenn sie auf der "alten Burg", mit ihren Ausgrabungen die vielfältigen Spuren der Frühgermanen verfolgten. Im Zuge der beginnenden Motorisierung entstand an der rechten Seite zur Kirchenstraße eine Zapfstelle für Auto-Kraftstoff. Es war die einzige Tankstelle in weitem Unkreis.

Das Ende 1945

Am 25. Januar 1945 begann das langsame Ende des alten Tolkemit. Die Russen kamen über die Chaussee von Neukirch-Höhe in die Stadt. Vierzehn Tage dauerte der Kampf um Tolkemit. Da die Russen mit ihrem Durchbruch zum Haff die deutschen Truppen vom Westen abgeschnitten hatten, versuchten diese entlang der Haffküste den Gürtel zu sprengen. Mitten in den Kampfhandlungen lag Tolkemit. Zuerst waren nur wenige Tolkemiter über das Eis geflohen. Nachdem die Stadt abermals den Besitzer gewechselt hatte, gingen weitere Tolkemiter am 7. Februar in Richtung Wiek und dann über das Haff auf die Nehrung. Sie folgten den abziehenden deutschen Soldaten. Es sollten für längere Zeit die letzten Menschen sein, die Tolkemit verlassen konnten. Die Verbleibenden erlebten ein wahres Märtyrium. 1946/47 wurden die letzten Deutschen aus Tolkemit vertrieben.




Bild 47 : Den heutigen Zustand am Markt zeigt dieses Foto

Wie fast alle Gebäude rund um das alte Rathaus am Markt, ging auch das "Deutsche Haus" in Tolkemit bei den Kriegshandlungen Ende Januar 1945 verloren. Wie durch ein Wunder blieb die Pfarrkirche St. Jakobus fast unbeschädigt.  

1945 ist aus dem deutschen Tolkemit das polnische Tolkmicko geworden. In Tolkemit wurden überwiegend Menschen angesiedelt, die ebenfalls von den Russen von der polnischen Ostgrenze vertrieben wurden.

Textnachweis:
Elbinger Nachrichten, Münster: April 2001, Text S. 12-14.
Elbinger Nachrichten, Münster, Mai 2000,  Text S. 2 .
Garnich, Marga: Liebelei mit der Kleinbahn, Berlin: H. Stubenrauch Verlagsbuchhandlung 1940, 262 S., Text S. 28.
Kerstan, Lic. Dr. E. G.: Die Geschichte des Landkreises Elbing, Elbing: Verlag der Elbinger Altertumsgesellschaft 1925, mehrere Abb. 473 Seiten, Text S. 354, 355,  388.
Lindner, Leo: 700 Jahre Tolkemit - Tolkemitsch für Tolkemitter, Hamburg 1996, mehrere Abb., 80 Seiten, S. 5, 7, 40, 57.
Lindner, Leo: Tolkemit - Die kleine Stadt am Frischen Haff - Bilder aus früheren Zeiten und heute, Hamburg 1998,179 Seiten, S. 13, 14, 131, 154, 156
Pillukat, Rudolf: Von d. Tolkemiter Lommen, Elbinger Briefe Nr. 27, 60 S., Text S. 22.
Wichmann, Georg: Keramische Industrie im Landkreis Elbing, im Westpreußen - Jahrbuch Band 23, hrsg. von der Landsmannschaft Westpreußen, Münster: Verlag C. J. Fahle 1973, mehrere Abb., 160 S., S. 112,  Text S. 115 .

Bildnachweis:
Elbinger Nachrichten, Münster: April 2001, Bild 14, 37, 47.
Kerstan, Lic. Dr. E. G.: Die Geschichte des Landkreises Elbing, Elbing: Verlag der Elbinger Altertumsgesellschaft 1925, mehrere Abb. 473 Seiten, Bild 8.
Lindner, Leo: Tolkemit - Die kleine Stadt am Frischen Haff - Bilder aus früheren Zeiten und heute, Hamburg 1998,179 Seiten, Bild 23.
Mühleisen, Christa: Bild  2-7, 9, 10, 12, 13, 15-22, 24, 26, 28-36, 38-46.
Pudor, Fritz: Elbinger Erinnerungsbilder, Essen: West-Verlag 1953, 106 S., Bild 1+11.
Wichmann, Georg: Keramische Industrie im Landkreis Elbing, im Westpreußen - Jahrbuch Band 23, hrsg. von der Landsmannschaft Westpreußen, Münster: Verlag C. J. Fahle 1973, mehrere Abb., 160 S., S. 112, Bild 25+27.

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